Landwirtschaftsminister Özdemir hält eine Scheibe Brot in der Hand.

Ampelkoalition Wie die Pläne fürs gesunde Essen gescheitert sind

Stand: 30.12.2024 11:02 Uhr

Die Ampelkoalition wollte den Menschen in Deutschland die Entscheidung für gesunde Lebensmittel erleichtern. Geklappt hat das jedoch kaum. Woran ist das Vorhaben gescheitert?

Von Eva Huber, ARD-Hauptstadtstudio

Nach Plätzchen, Punsch und Weihnachtsbraten nimmt sich so mancher fürs neue Jahr vor, sich gesünder zu ernähren. Und stellt schnell fest: So einfach ist das gar nicht. Ähnlich ging es der Bundesregierung. Sie ist vor rund drei Jahren mit dem Vorsatz gestartet, den Menschen gesunde Ernährung leichter zu machen. Der Erfolg ist laut Experten bisher überschaubar. 

Ernährungsminister Cem Özdemir betont immer wieder: "Ich will, dass jeder eine echte Wahl für gutes Essen bekommt." Sprich, dass ausreichend gesundes Angebot da ist, zu dem man greifen kann, wenn man denn will. Derzeit werde das vielen Menschen im Alltag schwer gemacht, sagt der Grünen-Politiker - in Kantine, Schule, im Supermarkt. 

Zehn Prozent der Deutschen leiden an Diabetes

Die Zahl der ernährungsbedingten Krankheitsfälle ist hoch, zum Beispiel durch starkes Übergewicht, auch Adipositas genannt. Das kann zu Krankheiten wie Diabetes führen. Rund jeder zehnte Mensch in Deutschland ist zuckerkrank. Neben persönlichem Leid erzeugt starkes Übergewicht somit auch hohe Kosten. Eine Studie von 2015 schätzt die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Adipositas in Deutschland auf rund 63 Milliarden Euro pro Jahr. 

Die Bundesregierung hat deshalb vor rund einem Jahr eine Ernährungsstrategie verabschiedet. Vor allem wollte sie das Essen in Kitas, Schulen und Kantinen verbessern. Zum Beispiel durch verbindliche Standards beim Kita- und Schulessen.

"Wir unterstützen das mit Geld für Beratungsprozesse", sagt Grünen-Politikerin Renate Künast. Außerdem hat das Ministerium Ernährungstage organisiert, um Menschen aus dem Bereich zu vernetzen, und unterstützt Forschungsprojekte.

In einem Modellregionenwettbewerb fördert das Ministerium bisher zehn Projekte in verschiedenen Regionen in Deutschland. Insgesamt stehen dafür rund zwölf Millionen Euro zur Verfügung.

Zu wenig Geld für Kita- und Schulessen

Die Bundesregierung habe sich tatsächlich sehr gute und ambitionierte Ziele gesetzt, sagt der Mediziner Peter von Philipsborn, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu Ernährung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung forscht. Aber man müsse sagen, dass sie "beim Erreichen von diesen Zielen bei Weitem nicht so weit gekommen sind, wie das wünschenswert wäre". Ein Grund: Es fehlt am Geld. 

Der wissenschaftliche Beirat des Ernährungsministeriums habe ausgerechnet, dass es allein rund zwei Milliarden Euro Investitionen bräuchte, um Schulküchen und Speisesäle passend auszurüsten. Die Beträge, die die Bundesregierung für diesen Bereich tatsächlich bereitstellt, bezeichnet von Philipsborn als "gänzlich unzureichend". Sie bewegten sich "in einstelliger Millionenhöhe, aber benötigt werden Milliarden".  

Beim Schul- und Kitaessen liegt viel in der Hand von Bundesländern und Kommunen. Trotzdem könnte die Bundesregierung mehr unterstützen - so sieht das auch Michael Polster vom Deutschen Netzwerk Schulverpflegung. Leuchtturmprojekte seien schön und gut. Aber: "Was nützt das, wenn man nicht das Geld hat, das flächendeckend umzusetzen?", fragt Polster.

Werbeverbot für Ungesundes scheiterte

Wissenschaftler Peter von Philipsborn kritisiert auch, dass ein anderes Projekt der Ampelkoalition gescheitert ist: Werbung für ungesunde Lebensmittel einzuschränken, um Kinder besser zu schützen.

Ernährungsminister Özdemir hat dazu ein weitreichendes Gesetz vorgelegt. Es wurde von der Werbe- und Lebensmittelindustrie und auch von der FDP scharf kritisiert. Die Regeln würden große Teile des Lebensmittelangebots umfassen und wären zu breit angelegt, argumentieren die Kritiker. Ministerium und FDP verhakten sich und das Gesetz kam nie voran.

Das wiederum begrüßt die CDU, die das Werbeverbot für Ungesundes ebenfalls als zu weitreichend und in der Praxis nicht umsetzbar kritisiert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger lehnt auch eine Zuckersteuer zum Beispiel auf Softdrinks ab, wie sie Großbritannien eingeführt hat.

Der stellvertretende Unions-Fraktionschef setzt andere Schwerpunkte: "Unser Ansatz ist nicht, mit Verboten den Leuten zu sehr in ihre persönlichen Entscheidungen reinregieren zu wollen. Wir wollen die Ernährungsbildung stärken." Da habe die bisherige Regierung zu wenig gemacht, kritisiert Bilger. 

Weniger Zucker in Softdrinks durch Zuckersteuer

Bildung sei wichtig, sagt auch Wissenschaftler von Philipsborn. Aber die meisten Menschen wüssten recht gut, was eine gesunde Ernährung ist. "Das Hauptproblem ist, dass unsere Umgebung, unsere Umwelt es uns oft schwer macht, die guten Vorsätze, die wir haben, tatsächlich umzusetzen."

Deshalb hält er neben mehr Geld für Kita- und Schulessen auch zielgenaue Steuern für sinnvoll, um das Angebot an Lebensmitteln gesünder zu machen. In Großbritannien enthält zum Beispiel eine Fanta seit der Einführung einer Zuckersteuer auf Softdrinks weniger Zucker als eine Fanta in Deutschland.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 30. Dezember 2024 um 09:41 Uhr.