Bauernprotest Zwischen Zukunftsangst und Instrumentalisierung
Für viele Landwirte geht es um ihre Existenz und Arbeitsweise. Für andere sind die Proteste Gelegenheit, ihre rechtsextreme Agenda auf die Straße zu bringen. Wie man mit diesem Interessenskonflikt umgehen kann, erklärt Protestforscher Saldivia Gonzatti.
tagesschau.de: Warum eskalieren die Bauernproteste gerade so? Was hat die Politik da losgetreten?
Daniel Saldivia Gonzatti: Man muss erst einmal feststellen, dass es eine plötzliche Sparmaßnahme gab. Also die Subventionen wurden erst gestrichen, das wird später zurückgenommen. Aber diese Sparmaßnahme hat dazu geführt, dass viele Bauern und Bäuerinnen sich finanziell marginalisiert gesehen haben, und um ihre finanzielle Existenz und Zukunft fürchten. Das hat sie zum Protest mobilisiert.
Hinzu kommt, dass im Zuge dieser Mobilisierung gewisse Akteure, vor allem aus dem rechtsradikalen und sogar rechtsextremen Spektrum, versuchen mitzumischen. Diese versuchen teilweise, die Proteste zu instrumentalisieren, teilweise rufen sie zu parallelen Protesten auf. Es gibt zurzeit nicht nur Bauernproteste. Wir haben gestern in Dresden gesehen, dass es parallel dazu auch reine rechtsradikale Proteste gibt.
Allgemein wird versucht, aus einem landwirtschaftlichen Thema, bei dem es eigentlich um Subventionen und um die Existenzängste der Landwirtschaft geht, ein großes Thema zu machen. Mit dem Ziel Systemkritik zu äußern, um rechtsradikales Gedankengut auch auf den Straßen zu platzieren.
tagesschau.de: Wer mischt sich denn da jetzt alles unter die Landwirte? Es sind ja nicht nur Landwirte, die jetzt protestieren, zum Beispiel auch Logistikunternehmen oder Handwerker. Aber wer sind die Extremisten? Wo kommen die her?
Saldivia Gonzatti: Es gibt eine starke Mobilisierung. Zu dieser Aktionswoche hat der Deutschen Bauernverband aufgerufen. Er hat sich von Radikalen und Rechtsextremisten klar distanziert.
Aber gleichzeitig finden wir, zum Beispiel in Dresden, Bewegungen wie "Freie Sachsen", teilweise auch Gruppen aus der "Identitären Bewegung" in anderen Teilen von Deutschland Ortsvereine der NPD. Also man sieht, dass sie versuchen mitzumischen.
Und gleichzeitig sehen wir auch, dass "Querdenker" versuchen bei den Bauernprotesten zu mobilisieren, aber auch in parallelen Demonstrationszügen.
Am Sonntag gab es in Dortmund einen Korso durch die Innenstadt. Das heißt, alles findet irgendwie parallel statt. Die Lage ist gemischt, sodass es nicht genau klar ist, wie sich die Bauernproteste weiterentwickeln.
Man muss deutlich sagen, es gibt einen klar demokratischen Teil. Es gibt auch andere, linke Bewegungen, aus dem Bauernspektrum, die versuchen, Ende des Monats in Berlin zu mobilisieren.
Dass gewisse rechte, rechtsradikale Gruppen versuchen, die Proteste zu unterwandern, war vor allem gestern sehr prägnant und das haben wir auch letzte Woche gegenüber Wirtschaftsminister Habeck gesehen.
Saldivia Gonzatti ist Mitglied der Grünen und Rechnungsprüfer des Kreisverbandes Dortmund.
tagesschau: Wie verhält man sich denn da als Protestierender, wenn man so etwas nicht mittragen will?
Saldivia Gonzatti: Da ist das große Dilemma für die Bauernproteste zurzeit. Also klar ist es ein legitimes Anliegen, gegen gewisse Sparmaßnahmen zu demonstrieren. Und in einer Demokratie ist Protest eine gesunde Sache und auch wünschenswert. Es ist auch wichtig, dass Konflikte auf der Straße ausgetragen werden. Zeitgleich sehen wir diese Mobilisierung von rechts.
Zwei Sachen sollte man da machen. Das erste ist schon geschehen: Der Deutsche Bauernverband hat sich klar distanziert von diesen rechtsradikalen Akteuren, die versuchen, gewisse Symboliken, auch diese Galgen-Symboliken, bei Protesten dabei zu haben. Das ist ein erster guter Schritt.
Zweitens muss man tatsächlich vor Ort dafür plädieren, dass demokratische, wahre Protestler eine klare Grenze ziehen und sagen: Es gibt einen Platzverweis vom Organisator, es gibt eine klare Grenze und es wird gesagt, solche Symbole oder teilweise auch Umsturzfantasien gegenüber der Regierung sind nicht willkommen.
Das sind zwei verschiedene Schritte. Den institutionellen haben wir großenteils schon gesehen. Der zweite Schritt, vor Ort, ist kompliziert. Das heißt, Protestierende müssten ihren demokratischen Geist auch zeigen und auch sagen: Das ist bei uns hier nicht zu machen.
tagesschau.de: Das heißt also, wenn ich sehe, mein Demo-Nachbar hat einen Galgen mit einer Ampel dranhängen oder ein persönlich diffamierendes Plakat gegen einen Minister, eine Ministerin, dann müsste ich ihm sagen, nimm das mal weg oder fahre nach Hause?
Saldivia Gonzatti: Das ist eine Möglichkeit. Aber man kann auch direkt zu einem Organisator oder einer Organisatorin gehen. Die können direkt mit der Polizei sprechen, wenn sich jemand nicht wünschenswert verhält, und dann gemeinsam gucken, inwiefern diese Person von der Demonstration entfernt werden sollte oder nicht.
Das Interview führte André Schünke für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es redigiert und gekürzt.