"Identitäre"-Bewegung in Europa Très chic, très hip, très rechtsradikal
Sie sind wenige, aber sie wollen Aufmerksamkeit: Die "Identitären" - eine neurechte Gruppe, die irgendwo zwischen Neonazis, rechten Intellektuellen und Hipstertum agiert. Verfassungsschützer nehmen die Aktivisten nun verstärkt ins Visier. Doch wie stark sind sie wirklich?
"Heimat im Blindflug" - unter diesem Motto sind Anfang Juni in mehreren deutschen Städten kleine Gruppen von Aktivisten unterwegs. Auf einer Internetseite behaupten sie, es habe in Dresden, Görlitz, Saarbrücken, Leipzig und Rostock Aktionen gegeben - und in den Folgetagen angeblich in Dutzenden weiteren Städten. Aus Dresden veröffentlichten die Aktivisten ein Video, auf dem zu sehen ist, wie sie mit Hilfe einer Leiter einer Statue von Martin Luther die Augen verbinden und ein Schild umhängen, auf dem das Motto der Aktion steht. Dies sei ein "Ruf an alle Deutschen, gründlich darüber nachzudenken, in welcher Gefahr unser Land, unser Volk und unsere Kultur schweben".
Eine typische Strategie der "Identitären Bewegung" (IB) - eine Gruppe, die bereits seit Jahren immer wieder für Aufsehen und Rätselraten sorgt. In den vergangenen Monaten hat die selbst ernannte Bewegung offenkundig wieder Zulauf, zumindest in einigen Regionen Deutschlands, in anderen Gegenden ist sie praktisch nicht existent.
Angebliche "Besetzung"
Die "Identitären" wollen ihre neurechte Ideologie mit subversiven Elementen aufpeppen. Dazu gehören Aktionen wie die an Luther-Denkmälern vor wenigen Tagen, oder auch die "Besetzung" von SPD-Parteizentralen, wie vor einem Jahr in Berlin und Hamburg. Auf Videos von der Aktion ist zu sehen, wie etwa ein halbes Dutzend Aktivisten auf dem Balkon der SPD-Zentrale in Hamburg Flaggen schwenkt - und offenkundig schnell wieder verschwindet. Von einer Besetzung konnte also eigentlich keine Rede sein.
Der Begriff Neue Rechte beschreibt eine uneinheitliche, rechtsgerichtete politische Strömung in verschiedenen Staaten. Sie ist intellektuell ausgerichtet und sucht Querverbindungen ins konservative Spektrum. Einige Gruppierungen der Neuen Rechten wollen einen völkischen Nationalismus modernisieren. Politikwissenschaftler weisen der Neuen Rechten eine Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus zu. Dabei würden Gegensätze zwischen demokratischem Konservatismus und antidemokratischem Rechtsextremismus relativiert und Gemeinsamkeiten überbetont.
In Berlin beklebten mutmaßlich IB-Mitglieder im April den Eingang des Büros der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Bilder von der Aktion seien später im Netz präsentiert worden, sagten die Stiftungsverantwortlichen. Auch Mitglieder der Berliner Jusos berichten, Aktivisten der "Identitären" versuchten gezielt, politische Gegner einzuschüchtern.
Viel Symbolik
Die "Identitären" seien in der Hauptstadt "durch relativ kontinuierliche Aktionen im vergangenen Jahr im öffentlichen Raum deutlich präsenter geworden", resümiert Bianca Klose von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" (MBR) die Entwicklung. "Ein stabiler Aktivistenkern von zehn bis fünfzehn Personen versucht seitdem beständig, durch öffentlichkeitswirksame Provokationen auf sich aufmerksam zu machen", so Klose im Gespräch mit tagesschau.de. "Eine überschaubare Zahl von Aktivisten taucht überraschend auf und verschwindet in der Regel ebenso schnell wieder. Sie wählen für sie symbolisch aufgeladene Orte, an denen kein nennenswerter Widerstand zu erwarten ist."
In Berlin rekrutieren sich die "Identitären" nach Beobachtungen der MBR vornehmlich aus einem männlichen, jungakademischen Milieu von Burschenschaftsstudenten und Gymnasiasten, lokale Schwerpunkte sind die Randbezirke im Südwesten und Südosten der Hauptstadt. Die "Identitären" nutzten zudem rechtsextreme Aufmärsche als Plattform zur Selbstdarstellung.
Im Visier des Verfassungsschutzes
Verfassungsschützer nehmen die "Identitären" verstärkt ins Visier. "Einige Landesämter schauen sich die 'Identitären' inzwischen genauer an, weil dort die Schwelle für eine Beobachtung erreicht ist", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, kürzlich in einem Interview mit der "Rheinischen Post" . "Wir haben festgestellt, dass sie in verschiedenen Bundesländern von reinen Internetaktivitäten zu Verabredungen im realen Leben übergegangen sind."
In Thüringen versuchten in der jüngsten Vergangenheit bekannte Rechtsextremisten, auf die bis dato eher vereinzelt und vorwiegend virtuell agierende "Identitäre Bewegung" Einfluss zu gewinnen, erklärt Stephan Kramer, Chef des dortigen Verfassungsschutzes, im Gespräch mit tagesschau.de. "Inzwischen werden die IB und deren Aktivitäten in Thüringen von Personen dominiert, die überwiegend aus rechtsextremistischen Bestrebungen bekannt waren."
Allerdings seien zielgerichtete Kooperationen mit rechtsextremistischen Parteien, Gruppierungen oder Initiativen bislang nicht bekannt. Die IB habe eine "Scharnierfunktion" zwischen verschiedenen Milieus, so Kramer, so seien unter anderem auf Demonstrationen der AfD Fahnen und Symbole der IB gesichtet worden. Ähnliches berichtet Klose aus Berlin: Eine strukturelle Vernetzung der "Identitären" mit Akteuren des aktionsorientierten Rechtsextremismus sei nicht zu beobachten.
"Aktivistischer Arm der Neuen Rechten"
Tatsächlich sehen sich die Aktivisten offenkundig als eine rechte Hipster-Truppe. Zu der Aktion an den Luther-Denkmälern hieß es im Netz, man habe "erneut landesweit die schon aktivistisch bewährten Gruppen" mobilisiert und "auch diesmal auf die Beweglichkeit der kleinen, straffen Ortsgruppen" gesetzt. Bianca Klose aus Berlin betont, die IB verstehe sich als "aktivistischer Arm der Neuen Rechten" mit einem "elitären Politikanspruch". Und dieser Anspruch folgt dem Konzept der "Meta-Politik".
"Meta-Politik" ist ein zentraler Schlüsselbegriff in der Neuen Rechten: Statt sich mit Kompromissen in der Realpolitik zu beschäftigen, möchte man kompromisslos immer nur das ganz große Ziel im Sinn haben.
Kulturrevolution von rechts
Das Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts. Man möchte ein rechtes Lebensgefühl schaffen: wild, unangepasst, idealistisch. Dieser Kulturkampf wurde maßgeblich von französischen Rechtsintellektuellen entwickelt - und in Italien wird er beispielsweise in dem rechten Veranstaltungszentrum "Casa Pound" in Rom mit Leben erfüllt. Ein Projekt, das deutsche Rechtsradikale seit Jahren bewundern und versuchen zu kopieren.
Bei dem Kulturkampf von rechts spielt auch die Zeitschrift "Compact" als Scharnier zwischen verschiedenen Gruppen offenkundig eine wichtige Rolle. So treten bei "Compact"-Konferenzen sowohl AfD-Politiker als auch neurechte Strategen auf, das Magazin verbreitet auf seiner Internet-Seite zudem Beiträge von "Identitären". Der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner schrieb dort zuletzt davon, dass die Bundespräsidentenwahl eine Chance sei, dass sich "im liberalen Multikulti-Westeuropa ein Volk 'freiwählt'". Für ihn als "identitärer Aktivist und Meta-Politiker" sei diese Wahl "ein Indikator für die Lage der patriotischen Aktivkräfte im Land". Sie seien "so stark wie nie".
In Österreich sorgte die "Identitäre Bewegung" Mitte April für Aufsehen, als Aktivisten in Wien die Theateraufführung eines Elfriede-Jelinek-Stücks störten. Sie bespritzten Besucher mit künstlichem Blut und beschimpften sie als "Heuchler".
"Phalanx unserer Generation"
In Deutschland agieren "identitäre" und neurechte Vordenker aus dem Umfeld der AfD unterstützt von "Compact"-Chefredakteur Jürgen Elsässer unter der Marke "Ein Prozent". Ziel der Initiative ist es - ganz dem elitären Politikverständnis folgend - lediglich ein Prozent der Bevölkerung für die Mitarbeit zu gewinnen. Lokal sollen aktive Gruppen gebildet werden. Der neurechte Publizist Götz Kubitschek behauptete in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die Bewegung sei "wie ein Gewebe, wie ein Netz, das sich über die Dinge legt".
Aktuell werben die Neurechten auf ihrer Netzseite "Ein Prozent" für einen "identitären Demomarathon". Ganz dem elitären Anspruch folgend verkünden Aktivisten zu pathetischen Klängen: "Wir sind die erste Reihe, die Phalanx unserer Generation." In Paris nahmen Ende Mai angeblich 500 Teilnehmer an der ersten Demonstration des "Marathons" teil, ausführlich berichteten russische Auslandssender über den Aufmarsch.
Am Samstag wollen die "Identitären" dann in Wien aufmarschieren - und kommende Woche in Berlin. Die Kameras für ihre Netzvideos dürften die rechten Kulturkämpfer schon aufgeladen haben.