Jugendprojekt in Hagen Sie wollen die "Rassismus-Brille" sichtbar machen
Islam gleich Islamismus? Schwarze Menschen gleich Drogenmilieu? Es sind diese Vorurteile, die Jugendliche aus Hagen in einem Videoprojekt ansprechen. Sie wollen damit aufrütteln und ein Zeichen setzen.
Wenn die Leute ihren Nachnamen lesen, merke sie, wie sie komisch behandelt wird, erzählt eine junge Frau: "Ich lebe hier in der vierten Generation. Meine Großeltern wurden schon hier geboren. Ich weiß nicht, wie viele Generationen wir noch brauchen, um hier anerkannt zu werden."
Es ist nur eine von vielen eindrücklichen Erfahrungen, die die Hagener Jugendgruppe "Lichter der Großstadt" in ihrem Videoprojekt erzählt. Fast alle in der Gruppe haben eine Migrationsgeschichte und rassistische Erfahrungen gemacht. Davon wollten sie in einem selbst gedrehten Video erzählen.
Doch der Weg dahin war nicht leicht. Es gehe nicht so leicht von der Hand, all diese Erfahrungen zu teilen und in eine Kamera zu sprechen, erzählt Almir Murati. Er ist 21 Jahre alt, will im Oktober sein Studium beginnen.
"Kleine Stiche im Alltag"
"Es ist sehr emotional und etwas sehr, sehr Tiefgründiges und Privates", sagt Murati. "Sehr viele Erfahrungen, die man gemacht hat, sind traumatisierend, und durch dieses ganze Wiederholen dieser Erlebnisse kann es auch retraumatisierend sein." Trotzdem wollte er sich dem stellen und teilen, was er erleiden musste. Er verfolgt damit ein klares Ziel: "Aufklären und die Leute zum Nachdenken bringen."
Oft geht es um beiläufigen Rassismus, der ihnen immer wieder begegne. Unterschwellig und oft auch unbewusst. "Meistens sind das Mikroaggressionen: also kleine Stiche im Alltag", erzählt Murati. "Zum Beispiel, wenn ich in der Gastro arbeite, und wenn jemand aus der Mehrheitsgesellschaft zu mir kommt und mich mit 'Ey, Bruder Abe!' anspricht, da merke ich: Anhand meines äußerlichen Erscheinungsbilds hat er mich jetzt gerade in die Schublade gesteckt."
Zivilcourage-Projekt von Borussia Dortmund
Almir Murati ist in Deutschland geboren. Seine Eltern kamen vor mehr als 30 Jahren hierher. All solche Erfahrungen, die er seit seiner Geburt macht, wollte er ursprünglich bei einem Poetry Slam teilen.
"Ich bin Deutscher mit Einwanderungsgeschichte. Bis ich das sagen konnte, war es ein sehr schwerer Weg für mich, da mir immer an den Kopf geworfen wurde, dass ich nicht dazugehöre", textete Murati.
Doch dann wurde aus seiner Idee viel mehr. Er und die anderen aus der Gruppe erfuhren von einem Zivilcourageprojekt des Fußballvereins Borussia Dortmund. Das Gewinnervideo würde beim nächsten Heimspiel des BVB gegen Bayern München gezeigt. Also machten sie mit.
"Wir - mit Migrationsgeschichte - müssen uns damit jeden Tag beschäftigen", sagt Kursleiter Gandi Chahine.
Momente aus der Schulzeit
Auch Aya Alali ist Teil der Jugendgruppe. Sie floh 2017 gemeinsam mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland. Seitdem lebt sie in Hagen, ist hier zur Schule gegangen und hat nun in Duisburg angefangen, Politikwissenschaften zu studieren.
Doch je besser sie deutsch verstand, desto häufiger wurde ihr klar, dass auch sie rassistisch beleidigt oder angegangen wird. Sie erinnert sich vor allem an Momente aus ihrer Schulzeit: "Ich war die Einzige, die die Sprache nicht konnte, und habe immer wieder erlebt, wie ich von anderen ausgegrenzt werde, wie andere nicht möchten, dass sie mit mir eine Gruppenarbeit machen und wie die Lehrerin mich einfach schlechter bewertet als meine Freundinnen oder Freunde."
Davon erzählt sie auch im Video. "Die Rassismus-Brille" nennen sie ihr Projekt, mit dem sie vermitteln wollen, dass viele durch genau diese gucken, ohne genau zu wissen, welche Brille sie da aufhaben.
Die Mehrheitsgesellschaft zum Nachdenken bringen
"Wir wollen einfach versuchen, mit den Möglichkeiten, die wir haben, gesellschaftlich etwas zu verändern und Menschen zu sensibilisieren", erklärt Gandi Chahine. Er leitet die Jugendgruppe "Lichter der Großstadt". "Wir wollen, dass Menschen begreifen, dass wir einen deutlichen Schritt weiter sind, wenn wir uns als Menschen begegnen. Das ist unsere Botschaft, und das ist das, was wir versuchen, mit unserem Video zu transportieren."
Gerade jetzt sei ihr Projekt wichtiger denn je, sind sie überzeugt. Der Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien, das Ergebnis der Europawahl und das politische Klima - über all das spricht Aya Alali nicht selten mit ihrer Familie: "Es löst auf jeden Fall Ängste aus, denn wir haben ein neues Leben hier in Deutschland angefangen, nachdem wir unser altes Leben in Syrien zurücklassen mussten. Da konnte ich mir noch nicht vorzustellen, dass ich dasselbe, was ich schon davor gemacht habe, jetzt nochmal machen zu müssen. Das macht einen schon ein bisschen verrückt."
Sie alle hoffen, dass es so weit nie kommen wird. Ihr Projekt soll einen kleinen, aber entscheidenden Beitrag leisten, der die Mehrheitsgesellschaft zum Nachdenken bringt, betont Kursleiter Chahine: "Die Mehrheit in unserem Land kann sich nämlich aussuchen, wann und ob sie sich mit Rassismus beschäftigen möchten. Wir - mit Migrationsgeschichte - müssen uns damit jeden Tag beschäftigen."