Ukrainische Kinder in deutschen Kitas Mit Übersetzungs-App am Basteltisch
Die Lage in vielen Kitas ist angespannt: Das Personal ist knapp, die Belastung nach zwei Jahren Pandemie hoch. Nun sollen nach Deutschland geflüchtete ukrainische Kinder integriert werden. Wie kann das gelingen?
"Ich gehe kurz weg", spricht die Erzieherin Sabrina Haas in der Kita "An der Saalmühle" im rheinland-pfälzischen Ingelheim in ein Tablet. Die weibliche Stimme einer Übersetzungs-App wiederholt es auf Russisch. Der fünfjährige Hordii hat verstanden, er nickt. Erzieherin Sabrina Haas und ihr Tablet sind seine Verbindung zu einer fremden, neuen Welt, in der er sich noch schwer zurechtfindet. Er spricht kein Wort Deutsch und niemand in der Kita russisch oder ukrainisch.
Hordii ist mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen und geht erst seit ein paar Tagen in die Kindertagesstätte "An der Saalmühle". Im Eingang begrüßt ihn ein großes Plakat: "Unsere Kita ist bunt". Darunter eine Weltkarte und Bilder mit ganz unterschiedlich aussehenden Mädchen und Jungen von überall her. Toleranz und Integration von Anfang an.
Ukrainische Kita-Kinder nicht erfasst
Allein in Rheinland-Pfalz sind laut Landesbildungsministerium aktuell knapp 100 Kinder aus der Ukraine in Kindertagesstätten angemeldet (Stand: 25.4.22). Wie viele es bundesweit sind, ist laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht zentral erfasst. Viele Experten halten es für richtig, die geflüchteten Mädchen und Jungen in Betreuungseinrichtungen zu geben.
Auch wenn nach den Erfahrungen des Sozialpädagogen Heinz Müller vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz viele Mütter verständlicherweise einfach nur möglichst bald wieder nach Hause wollen: "Für die Kinder ist es enorm wichtig, dass sie ihre Schicksalserfahrungen, es muss nicht gleich ein Trauma sein, mit Normalität kompensieren können."
Das sieht auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung so. Es sei wichtig, dass Kinder und Jugendliche aus der Ukraine hier nicht nur Sicherheit, sondern auch eine Perspektive bekämen: "Diese erhalten sie durch eine rasche Integration in Kita und Schule in Kombination mit ergänzenden Angeboten auf Ukrainisch. Ziel muss sein, eine gute Balance zu finden zwischen der Integration in unser Bildungssystem und der Bewahrung der ukrainischen Identität", so eine Ministeriumssprecherin.
Der Bund unterstütze die Länder und Kommunen daher bei der Finanzierung der Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine - für 2022 etwa mit einer Milliarde Euro unter anderem für die Kinderbetreuung und Beschulung.
Genug Zeit für gute Betreuung?
Im Alltag stehen die Betreuenden dann aber vor vielen Herausforderungen: Wie verständigt man sich ohne eine gemeinsame Sprache? Wie geht man mit den eventuellen Kriegs- und Fluchterfahrungen der Kinder um? Ist dafür im lauten, stressigen Kita-Alltag genug Zeit und Raum? In der Kita "An der Saalmühle" setzen sich Sabrina Haas und Hordii an den kleinen Basteltisch, die Erzieherin nimmt das Tablet und spricht in das Mikrofon: "Was möchtest Du gerne ausschneiden?" Liebevoll und geduldig geht Haas auf die Wünsche und Bedürfnisse des Jungen ein - nicht immer versteht sie, was er möchte, trotz Übersetzungsprogramm.
Die Kommunikation braucht vor allem eins: Zeit. Gleichzeitig muss Sabrina Haas auch die anderen Kinder in der Gruppe im Auge behalten. In der Bauecke streiten sich ein paar Jungs, Haas muss schlichten. "Dass sich Sabrina Haas im Moment so viel um Hordii allein kümmern dann, funktioniert nur, weil wir personell ganz gut aufgestellt sind und in jeder Gruppe mindestens drei Erzieher haben", erklärt Kita-Leiterin Susanne Clemen. "Aber wenn einer krank wird, haben wir ein Problem."
Mehr Wertschätzung für Erziehende
Ein häufiges Problem, laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Viele Kitas stünden vor einem Dilemma, sagt Doreen Siebernik, Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit der GEW: "Die Erschöpfung und Belastung der Kolleginnen und Kollegen ist nach zwei Jahren im Pandemie-Krisenmodus groß. Zur Wahrheit gehört deshalb auch, dass diese Herausforderung mit dem gegenwärtig in der frühkindlichen Bildung vorhandenen Personal nicht zu meistern sein wird."
Siebernik appelliert mit Nachdruck an die Bundesregierung, die Landesregierungen und Kommunen, "endlich verstärkt, den Notwendigkeiten entsprechend in die frühkindliche Bildung, aber auch in die kommunale Infrastruktur zu investieren".
Unterstützung gibt es dabei auch vom Deutschen Kinderschutzbund Bundesverband e.V.: "Wenn eine Kita schon unter normalen Bedingungen unter der Personalnot ächzt, kann es sehr schwer sein. Erzieherinnen und Erzieher müssen in der Lage sein, traumasensibel zu handeln", so der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. "Dafür muss es genug Zeit und Ressourcen geben". Er wünsche sich viel mehr Wertschätzung, angemessene Bezahlung und Rahmenbedingungen dafür, wie sehr sich viele Erzieher und Erzieherinnen aufrieben.
Wie in Hordiis Kita in Ingelheim am Rhein. Seine Bezugserzieherin Sabrina Haas kümmert sich sehr um den Fünfjährigen und um viele andere Kinder. In der Kita "An der Saalmühle" gibt es Mädchen und Jungen aus vielen verschiedenen Nationen. Doch Hordii ist bisher das einzige ukrainische Kind. Aber gemeinsam im Sand spielen geht auch erstmal ohne Worte.