Ukrainer in Berlin Zwischen neuer und alter Heimat
Tausende ukrainische Geflüchtete leben seit zwei Jahren in Berlin, hin- und hergerissen zwischen ihrem neuen Leben und immer neuen Hiobsbotschaften vom Krieg in ihrer Heimat. Und dann ist da noch der Kampf mit den Behörden.
Um ein paar zusammengeschobene Tische sitzen etwa ein Dutzend Frauen. Sie sind aus der Ukraine geflohen. Die einen stricken, die anderen nähen Knöpfe an: Wollsocken in Übergröße und zum Zuknöpfen für Soldaten in der Heimat, in der Ukraine, die bei der Abwehr des russischen Angriffs schwere Fußverletzungen erlitten haben.
Der Krieg ist auch hier im Interkulturellen Haus in Berlin-Schöneberg immer gegenwärtig. Im Büro nebenan berät der Verein "Schöneberg hilft" geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer beim Ankommen in der Hauptstadt, quasi seit Kriegsbeginn, erzählt Anne-Marie Braun, Mitbegründerin des Vereins. Der Verein hilft bei Anträgen beim Jobcenter und dabei, Deutschkurse zu finden, berät zu Kindergeld oder Steuernummer, hilft bei der Suche nach Wohnung, Kita, Schulplatz oder Arzttermin.
Die Leute seien traumatisiert vom Krieg, wenn sie hier ankommen, sagt Braun. Und dann träfen sie auch noch auf die deutsche Bürokratie, speziell in Berlin mit seinen zwölf Stadtbezirken. "Diese zwölf Bezirke sind zwölf Königreiche. Das heißt, wenn du von einem Bezirk in den anderen ziehst, musst du den ganzen Kladderadatsch wieder neu ausfüllen", erzählt Braun.
Der Krieg reist mit
Olena Mishchenko zum Beispiel hat es gerade erst geschafft, ihre neunjährige Tochter umzuschulen, nachdem sie mit ihrer Familie innerhalb Berlins umgezogen war - mit Unterstützung von "Schöneberg hilft".
Mishchenko floh im März 2022 aus Poltawa in der Zentralukraine nach Berlin. Ihr Mann hatte da schon eine Weile als Koch in der deutschen Hauptstadt gearbeitet. Sie selbst war damals noch Leiterin eines Erlebnisparks für Kinder in Poltawa, als Russland seinen Angriffskrieg startete.
Jeden Tag telefoniert oder chattet Mishchenko nun von Berlin aus mit ihren Eltern in der alten Heimat - und mit ihrer Schwester. Die lebt in Dnipro, das Russland immer wieder aus der Luft beschießt.
"Im Grunde gibt es aber in der ganzen Ukraine keinen sicheren Ort mehr", sagt Mishchenko. Es sei ein Zustand ständiger Alarmbereitschaft. Russlands Krieg ist für sie auch in Berlin immer gegenwärtig.
Seit Kurzem arbeitet Mishchenko auf Minijob-Basis bei "Schöneberg hilft", fürs erste. Sie kocht Kaffee für neu ankommende Landsleute, gibt erste Infos und Tipps, während sie auf ihren Beratungstermin warten.
Unterbringung bleibt ein Problem
Neben all der Bürokratie bleibt das Finden einer Unterkunft ein Problem für viele ukrainische Geflüchtete, sagt Anne-Marie Braun von "Schöneberg hilft". Gerade in Berlin, wo der Wohnungsmarkt ohnehin angespannt ist.
Etwa 50.000 ukrainische Geflüchtete leben derzeit in Berlin, schätzt das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Und noch immer fliehen Menschen vor Russlands Krieg nach Berlin. Etwas mehr als 900 waren es im Januar. Längst nicht mehr so viele wie 2022, kurz nach Kriegsbeginn, als es allein im März und April mehr als 44.000 waren.
Als damals, vor zwei Jahren, viele der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Berlin am Hauptbahnhof ankamen, da öffneten etliche Berlinerinnen und Berliner ihre Wohnungen. Kein Dauerzustand, das war von Anfang an klar.
1.000 Kinder und Jugendliche ohne Schulplatz
"Irgendwann hast du einfach keine Lust mehr, dass jemand bei dir im Wohnzimmer auf dem Sofa schläft", sagt Braun. Viele ukrainische Geflüchtete würden deshalb immer noch in Übergangsunterkünften auf den ehemaligen Flughäfen Tempelhof und Tegel untergebracht. Ein Problem vor allem für die Kinder und Jugendlichen, die dort lebten, weil dort angemessene Bildungs- und Schulangebote fehlten, sagt Braun.
Vergangene Woche hat Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch am Flughafen Tegel eine erste neue "Willkommensschule" eröffnet, mit zunächst 130 Plätzen. 300 sollen es bis zum Frühjahr werden. Und auch am Flughafen Tempelhof ist eine solche Schule geplant.
Insgesamt gebe es in Berlin derzeit mehr als 1.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche ohne Schulplatz, darunter auch viele aus der Ukraine, sagt Anne-Marie Braun von "Schöneberg hilft". Der Verein hat das Problem früh erkannt und schon im Mai 2022 selbst eine Art Minischule eingerichtet, als Überbrückungsmaßnahme: Zwei Gruppen mit je etwa 20 Schülern, die nach ukrainischem Lehrplan von ukrainischen Lehrkräften unterrichtet werden. Zusätzlich stehen dort Sport und Deutschunterricht auf dem Lehrplan.
Bildungs- und Betreuungsangebote
Deutsch lernen, um anzukommen und gleichzeitig Traditionen aus der Ukraine fortführen. Ein bisschen so könnte man das Konzept von "UKTAK" beschreiben. "UK" steht für Ukraine "TAK" heißt "Ja" auf Ukrainisch. Es ist ein Projekt von etwa 35 Ehrenamtlichen, erzählt Projektleiterin Kseniia Gashchak, die sich über "Schöneberg hilft" kennengelernt haben.
Auch "UKTAK" organisiert Hilfsangebote für Ukrainerinnen und Ukrainer. Um die hundert ukrainische Geflüchtete kommen über den Monat zu ihnen, ebenfalls ins Interkulturelle Haus in Schöneberg, erzählt Gashchak, die schon ein Jahr vor Russlands Angriff aus dem westukrainischen Lwiw nach Berlin kam, weil ihr Mann hier als IT-Experte arbeitet.
Schrebergarten-Kultur trifft Datscha-Tradition
Bei "UKTAK" stricken sie etwa die extragroßen Socken für verletzte Soldaten, sammeln Krücken, Rollatoren und Verbandsmaterial für Kriegsversehrte in der Ukraine. Oder sie kochen zusammen, zum Beispiel Borschtsch, den typisch ukrainischen Rote-Beete-Eintopf.
Und sie haben sogar einen Garten, wo die Leute Gurken oder Tomaten anbauen, Obst ernten, Rasen mähen oder Bäume beschneiden können. Man komme so ganz einfach mit Deutschen ins Gespräch - Schrebergarten-Kultur trifft auf Datscha-Tradition.
Vor allem den geflüchteten Kindern tue das gut, sagt Projektleiterin Gashchak: "Das ist auch ein bisschen wie Therapie." Denn der russische Angriffskrieg ist immer gegenwärtig - auch in Berlin. Hier sind sie zwar in Sicherheit, doch aufatmen können sie auch hier nicht.