Einsamkeit Wenn die Leere das Leben bestimmt
Fast jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren in Deutschland fühlt sich von Einsamkeit betroffen. Familienministerin Paus spricht sogar von einem Problem für die Demokratie. Was hilft dagegen?
"Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal so einsam und allein sein werde", erzählt Katja König. Doch nun verbringt sie viel Zeit alleine, ihre Gedanken kreisen. Einsamkeit sei schmerzhaft, erzählt sie unter Tränen: "Ich schäme mich ein bisschen dafür, einsam zu sein. Es ist ähnlich wie Depressionen. Ich bin so müde davon, mich selber zu babysitten, aber es ist einfach so: Ich find es einfach nur schrecklich."
Vor ein paar Jahren war noch alles gut: Katja König war verheiratet, hatte eine Patchworkfamilie, lebte einen trubeligen und vollen Alltag. Doch die Düsseldorferin musste mehrere Schicksalsschläge hinnehmen. 2018 starb ihr Ehemann, im vergangenen Jahr auch ihr früherer Lebenspartner und der Vater ihrer Kinder. Ihre Töchter sind erwachsen und leben in einer anderen Stadt.
"Es passiert häufig, dass ich nicht nur zwei oder drei Tage niemanden sehe, sondern das kann auch schon mal eine ganze Woche am Stück sein. Sich einsam zu fühlen ist ein so großes Gefühl. Wie schlimm das wirklich ist, das weiß keiner. Wenn es ganz schlimm ist, ist es so als hätte ich einen Infekt. Dann steckt die Einsamkeit überall drin, im Bauch, im Herz, in den Knochen", berichtet Katja König.
Einsamkeit betrifft alle Altersklassen
So wie der 54-Jährigen ergeht es immer mehr Menschen in Deutschland. Die Zahl der sich einsam fühlenden Menschen hat - vor allem in den vergangenen fünf Jahren - in Deutschland deutlich zugenommen: Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zufolge lag von 2005 bis 2017 der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter relativ gleichbleibend zwischen 14 und 17 Prozent.
Im Laufe der Corona-Pandemie ist er auf 47 Prozent angestiegen. Im Winter 2022/2023 ist er wieder auf 36 Prozent gesunken, liegt damit aber immer noch deutlich über dem Niveau vor der Pandemie: Heute fühlt sich jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren zumindest teilweise einsam. Damit ist Einsamkeit nicht nur bei älteren Menschen, sondern seit der Pandemie auch bei jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren weit verbreitet.
Während alle Altersgruppen von Einsamkeit betroffen sind, leiden Frauen etwas häufiger als Männer. Besonders gefährdet sind zudem Menschen, die an Übergangssituationen im Leben stehen: Einstieg ins Studium, die Ausbildung, in den Beruf oder die Rente oder Menschen, die den Verlust von Angehörigen oder eine Trennung verkraften müssen.
Bundesregierung will Maßnahmen ergreifen
Die Bundesregierung hat inzwischen erkannt, dass sich Einsamkeit zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelt.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus sieht darin auch ein Problem für den Staat. Und zwar, wenn immer mehr Menschen sich zurückziehen, weil sie das Vertrauen in die Gesellschaft verlieren: "Dann ist das etwas, was unsere Gesellschaft im Kern auch brüchig macht und mit zerstört", sagte sie bei der Vorstellung eines Strategiepapiers gegen Einsamkeit, das das Bundeskabinett im Dezember 2023 beschlossen hatte. "Das ist ein deutliches und massives Problem für die Demokratie und deswegen sind wir alle gut beraten, etwas gegen Einsamkeit zu tun."
Auch in Gesellschaft einsam
Demnach soll auf das Thema mit Aktionswochen aufmerksam gemacht werden. In Unternehmen oder Vereinen sollen Mitarbeitende geschult werden, Zeichen von Einsamkeit zu erkennen und darauf zu reagieren. So sollen sozial isolierte Menschen stärker unterstützt werden.
Zum Beispiel durch Freizeitangebote, aber auch durch schnellere Hilfe bei psychischen Problemen. Weitere finanzielle Mittel, um die Vorhaben der Strategie umzusetzen plant die Familienministerin allerdings nicht ein. Die Strukturen wie Sportvereine, in denen die Maßnahmen greifen sollen, gebe es ja schon, meint Paus. Genau das kritisiert die Deutsche Stiftung Patientenschutz: Es brauche dringend mehr Geld, da es vielen Initiativen in den Kommunen schlicht fehlt.
Katja König leidet nicht nur alleine unter ihrer Einsamkeit, auch in Gesellschaft fällt ihr das Leben momentan schwer, auf Partys oder auf Familienfesten. "Dann gehe ich da so alleine hin und wenn ich dann so Familientreiben sehe - das tut mir dann so weh, wenn ich dann meine Sachen packe und alleine nach Hause fahre. Das ist dann der Moment, wo ich lieber allein zuhause bleibe und gar nicht rausgehe", erzählt Katja. Einsamkeit habe so viele Gesichter, sagt sie noch. "Man kann so viel haben und trotzdem einsam sein."
"Das Einzige was hilft, ist über Einsamkeit zu reden"
Irgendwann trifft Katja eine Abmachung mit sich selbst: Einmal in der Woche geht sie auf den Düsseldorfer Carlsplatz, immer samstags, immer ins gleiche Cafe - ein zaghafter Schritt hinaus in die Welt. Sie nimmt an Singlewanderungen teil und an organisierten Spaziergängen gegen die Einsamkeit. Bei einem dieser Spaziergänge kommen 200 Frauen. Katja öffnet sich und lernt wieder den Umgang mit anderen Menschen.
Freundinnen organisieren eine Geburtstagsparty für Katja und laden bewusst auch Singlemänner ein. Dort trifft sie Lindsay. Er ist Amerikaner, auch seit fünf Jahren Single und arbeitet als Psychotherapeut. Es sei auch Stress für ihn, alleine zu sein, sagt er. "Ich habe für mich selber auch nicht wirklich Antworten. Ich geh raus, ich bin gern unter Menschen und ja natürlich ist irgendwo im Hinterkopf der Wunsch: Vielleicht treffe ich eine tolle Frau. Und ich weiß, das kann nicht auf meinem Sofa passieren", sagt Lindsay. Die beiden verstehen sich sofort.
Sie haben ein gemeinsames Thema und eben auch gegenseitiges Verständnis. Ob eine Beziehung daraus entsteht, wissen beide noch nicht. Katja hat jedenfalls festgestellt, dass es der richtige Weg war, ihre Einsamkeit nicht für sich zu behalten und offen mit dem Problem umzugehen: "Das Einzige was hilft, ist über Einsamkeit zu reden - und zwar mit den richtigen Leuten."