Forschungsergebnisse und Konzepte Familienministerin stellt "Einsamkeitsbarometer" vor
Einsamkeit sei "die vielleicht die größte Volkskrankheit in Deutschland", sagt Patientenschützer Brysch. Die Bundesregierung will dagegen vorgehen. Familienministerin Paus will heute umfassende Daten vorlegen.
Die Bundesregierung will mit gezielten Maßnahmen gegen Einsamkeit in Deutschland vorgehen. Dazu stellt Familienministerin Lisa Paus heute umfassende Forschungsergebnisse vor, die die wissenschaftliche Grundlage dafür sein sollen.
Es handelt sich bei diesem "Einsamkeitsbarometer" nach Angaben des Ministeriums um die erste Analyse dieser Art. Sie ist Teil der "Einsamkeitsstrategie" der Bundesregierung, die das Kabinett bereits im Dezember beschlossen hatte.
"Während der Pandemie zugenommen"
Wie das Ministerium vorab mitteilte, geht es dabei um Zahlen und Entwicklungen in einem Zeitraum von 30 Jahren. Untersucht wurde unter anderem das Einsamkeitsgefühl von Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Wohnorts in Ost- oder Westdeutschland.
"Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Während der Pandemie hat dieses Gefühl stark zugenommen", sagte Paus vorab in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Ältere und jüngere Menschen seien demnach am häufigsten betroffen. Daneben auch Menschen, "die intensive Care-Arbeit leisten", so die Grünen-Politikerin weiter.
Man habe damit nun "die nötigen Daten, um noch gezielter handeln zu können". Zu den geplanten Maßnahmen gehören unter anderem mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit und der Ausbau von Hilfsangeboten.
"Vielleicht die größte Volkskrankheit"
Die Regierungen anderer Länder haben bereits vor Jahren Maßnahmen gegen Einsamkeit ergriffen. In Großbritannien und Japan gibt es beispielsweise schon seit längerem eigene Ministerien für die Belange einsamer Menschen.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz pocht darauf, das Problem viel stärker als bisher in den Blick zu nehmen. "Einsamkeit trifft alle Generationen. Sie ist vielleicht die größte Volkskrankheit in Deutschland", sagte Vorstand Eugen Brysch. Einsamkeit wirke sich nicht nur auf die Psyche aus, sondern führe "nicht selten" auch zu körperlichen Beschwerden.
BiB: Jeder Dritte fühlt sich manchmal einsam
Gestern hatte bereits das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) Forschungsergebnisse zur Thematik veröffentlicht. Demnach fühlt sich jeder dritte Mensch in Deutschland zumindest zeitweise einsam. Diese Angaben beziehen sich auf die Altersgruppe zwischen 18 und 53 Jahren.
Im Jahr 2013 hätten noch 14,5 Prozent bei einer repräsentativen Befragung angeben, zumindest teilweise einsam zu sein, sagte Sabine Diabaté vom BiB. Ende 2022 seien es 36,4 Prozent gewesen, 17 Prozent hätten angeben, sehr einsam zu sein.
Einsamkeit kann zu Radikalisierung beitragen
Mit Beginn der Corona-Pandemie sei der Einsamkeitswert bei der untersuchten Bevölkerungsgruppe auf 46,7 Prozent angestiegen, sagte die Mitautorin einer aktuellen Einsamkeitsstudie des BiB. Trotz des Wegfalls der Kontaktbeschränkungen sei bis Anfang 2023 kaum eine soziale Erholung zu verzeichnen gewesen: In der postpandemischen Phase bleibe die Einsamkeit auf hohem Niveau bestehen, sagte Diabaté.
Sie machte darauf aufmerksam, dass Einsamkeit Menschen auch anfälliger dafür mache, sich zu radikalisieren. Risikofaktoren für Einsamkeit sind nach den Worten von Martin Bujard, stellvertretender Direktor am BiB, unter anderem fehlende Erwerbstätigkeit, das Alleinleben und Krankheit. Schutzfaktoren wiederum seien unter anderem Bildung, ein gutes Einkommen und eine tägliche Internetnutzung. Hier komme es allerdings auf die Dosis an. Die reale Welt solle nicht gegen die virtuelle Welt getauscht werden.