Einsamkeit Alleinsein ist keine Frage des Alters
Gerade zum Jahreswechsel leiden viele Menschen unter Einsamkeit - auch immer mehr Jüngere. In Düsseldorf lädt die Diakonie zum Mittagstisch. Dort gibt es neben einer warmen Mahlzeit auch soziale Kontakte.
Inzwischen sind Elisabeth Niesen und Elfriede Lück richtig gute Freundinnen. Irgendwann entschloss sich Niesen, Lück im Alltag zu helfen, denn mit ihren 90 Jahren ist sie auf Unterstützung angewiesen. Doch sie haben beide etwas davon. Beide hatten mit Einsamkeit zu kämpfen.
Gemeinsam wird der Tag bunter. "Wir haben Spaß und sie lebt wieder auf. Wenn ich sie nicht abhole, ist sie traurig. Das muss man unterdrücken. Deswegen gehen wir und treffen uns", sagt Niesen.
Kennengelernt haben sie sich über die Diakonie Düsseldorf-Gerresheim. Fast täglich lädt die Diakonie zum Mittagstisch ein. Zu einer warmen Mahlzeit, die es aber auch warm ums Herz machen soll. Es ist ein Angebot für Menschen, die sonst kaum soziale Kontakte haben.
Lück kommt schon seit zehn Jahren hierher. "Ich gehe unter Leute. Das war das Beste, was ich machen konnte. Das tut mir gut. Sonst würde ich vielleicht gar nicht mehr leben", sagt sie zu einer anderen Dame, die hier ebenfalls Gast ist.
Gründe für Einsamkeit sind vielfältig
Die meisten hier haben ihre Partner verloren. Einige von ihnen seien dadurch in ein Loch gefallen, erzählen sie. Die Gespräche hier tun gut und helfen auch in traurigen Momenten, die durch die Einsamkeit entstehen. "Ich fühle mich einsam, wenn ich alleine zu Hause bin. Da wir hier eine wunderbare Gruppe gefunden haben, die uns aufgefangen hat, kann ich sagen, es ist mein Auffangbecken", sagt die 85-jährige Brigitte Bill.
Ihre Sitznachbarin Hildegard Pankonin berichtet von ihrer Katze, die kurz nach ihrem Mann gestorben war. "Ich war in einem tiefen Loch. Irgendwann sind unsere Männer gestorben. Wir waren alle einsam", sagt sie.
Psychologin Maike Luhmann forscht an der Ruhr-Universität Bochum seit zehn Jahren zum Thema Einsamkeit. Die Ursachen sind vielfältig. "Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen mit Armut oder geringem Einkommen ein erhöhtes Einsamkeitsrisiko haben. Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden eher einsamer. Aber natürlich auch Menschen, die einfach ein kleines soziales Netzwerk haben oder Single sind, sind tendenziell einsamer als andere", sagt sie über ihre Ergebnisse.
Einsamkeit hat gesellschaftliche Folgen
Einsamkeit sei ein gesellschaftlich wichtiges Thema, weil es zu einer ganzen Reihe von ungewollten Konsequenzen führen könne, so Luhmann. "Zum Beispiel zu psychischen und auch körperlichen Erkrankungen. Es gibt aber auch Erkenntnisse, die zeigen, dass einsame Menschen etwas eher extremistischeren politischen Positionen nahestehen, Vertrauen in die Gesellschaft verlieren und so weiter. Also eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Folgen, die Einsamkeit haben kann."
Lange Zeit wurde Einsamkeit nur als ein Problem der älteren Menschen gesehen. Unter anderem, weil im höheren Alter gesundheitliche Probleme, Einschränkungen und natürlich auch soziale Isolation zusammenkommen, sagt Luhmann. "Aber schon immer war Einsamkeit nicht nur ein Problem der älteren Menschen und insbesondere durch die Pandemie hat sich da einiges verschoben. Durch die Pandemie sind nämlich insbesondere die jüngeren, die jugendlichen oder die jüngeren Erwachsenen einsamer geworden. Mittlerweile kann man sagen, es ist etwas, was wirklich alle Altersgruppen betrifft."
Studie über Einsamkeit bei jungen Menschen
Im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung hat Luhmann untersucht, wie viele Jugendliche von Einsamkeit betroffen sind. Für die Studie wurden knapp 1.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 20 Jahren online befragt, dazu eine Stichprobe mit mehr als 1.200 Achtklässlern ausgewertet.
Demnach fühlen sich ältere Jugendliche und junge Erwachsene mit 18,5 Prozent deutlich einsamer als die jüngeren mit 11 Prozent. Zusammen mit denen, die sich nur ab und an einsam fühlen sind es bei den älteren 78 Prozent und bei den jüngeren Jugendlichen 86 Prozent.
Wer einsam ist, schämt sich oft. Marie Martin hat sich für einen offenen Umgang entschieden, auch um ihre Einsamkeit zu bekämpfen. Sie berichtet offen über ihre Erfahrungen mit Einsamkeit, nutzt auch ihre Reichweite im Internet als Influencerin.
Aufgrund einer Depressionen hatte sich die 35-Jährige anfangs immer mehr zurückgezogen, brauchte viel Zeit für sich selbst, sagte Treffen mit Freunden immer wieder ab. "Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, der seine Energie eher aus dem alleine sein gezogen hat. Und deswegen war das für lange Zeit für mich nicht schlimm", erzählt sie.
"Irgendwann hat keiner mehr gefragt"
Sie lebte zeitweise in ihrer eigenen Welt. Dass sie wirklich einsam war, bemerkte sie erst später: "Ich habe das gemerkt, als die Nachfragen immer mehr aufgehört haben. Als irgendwann keiner mehr gefragt hat. Sie haben sich in Freundschaftsgruppen auch ohne mich getroffen. Ich wusste davon nichts mehr. Da kam der Punkt, als ich gemerkt habe, ich bin jetzt alleine."
Da wurde ihr klar, dass sie etwas ändern muss. Über das Internet suchte sie sich Kontakte für Brieffreundschaften, Menschen mit ähnlichen Problemen, mit denen sie sich vertrauensvoll, aber auch einigermaßen anonym austauschen konnte. Das hat ihr die Tür zur Außenwelt wieder geöffnet. Inzwischen geht es ihr deutlich besser. Sie hat ihren Job als Lehrerin gekündigt, arbeitet nun als Influencerin und gibt Gartentipps.
Ihre Reichweite nutzt sie aber auch, um anderen zu helfen, die in einer ähnlichen Situation sein könnten, wie sie es einmal war. Über Social Media ruft sie nun dazu auf, Postkarten an Menschen zu verschicken, die sich einsam fühlen könnten.