Neuer Digitalisierungsanlauf Praxistest fürs E-Rezept
Heute startet eine neue Möglichkeit zum Einlösen elektronischer Rezepte bei Apotheken - per Versichertenkarte. Aber die praktische Umsetzung könnte an mancher Stelle noch haken. Ärzte sprechen von einem "Hauruck-Verfahren".
Das elektronische Rezept soll die Zettelwirtschaft in den Arztpraxen und Apotheken beenden. "Das ist sicherlich sinnvoll", sagt Hausarzt Christoph Lembens aus Mainz. Er setzt deswegen nun auf das E-Rezept - langfristig führe kein Weg daran vorbei, sagt er. Aber er ist skeptisch, ob die Technik in der Anfangszeit einwandfrei funktionieren wird. "Wir haben zum Beispiel nach Monaten noch immer Probleme mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung", sagt Lembens. Jetzt kommt das E-Rezept per Versichertenkarte, die Anwendung soll von Juli an zum Standard werden. Hausarzt Lembens spricht von einer Einführung "im Hauruck-Verfahren".
Bisher Nischendasein
Dabei ist das E-Rezept an sich nicht brandneu. Es lässt sich bislang auf zwei Wegen einlösen: per Smartphone-App oder mit einer Art QR-Code auf Papier gedruckt. Bei dieser letztlich analogen Variante gibt es allerdings keinen praktischen Vorteil im Vergleich zum herkömmlichen pinkfarbenen Papierrezept. Auch die bereits existierende App wird selten genutzt.
Es verwundert also kaum, dass das E-Rezept bisher ein Nischendasein fristet. Seit den ersten Tests vor zwei Jahren sind nach Angaben des Deutschen Hausärzteverbands lediglich 2,16 Millionen E-Rezepte eingelöst worden. Zum Vergleich: Rund 450 Millionen Rezepte stellen Arztpraxen jährlich aus.
Neues Verfahren soll E-Rezept zum Durchbruch verhelfen
Die Einlösemöglichkeit mit der elektronischen Gesundheitskarte soll dem E-Rezept nun zum Durchbruch verhelfen. Dabei wird das jeweils ausgestellte Rezept nicht auf der Karte selbst gespeichert, sondern auf einem speziellen Server innerhalb des Datennetzwerks des deutschen Gesundheitswesens. Um das Rezept abzurufen, müssen Patienten ihre Versichertenkarte in ein Lesegerät in der Apotheke stecken. Das betrifft zunächst gesetzlich Versicherte. Für Privatversicherte kommt das E-Rezept später.
Tests in Modellregionen abgebrochen
Getestet wurde das E-Rezept bereits vergangenes Jahr in zwei Modellregionen: in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe. Doch die Tests dort wurden abgebrochen wegen Datenschutzbedenken. Das ursprünglich vorgesehene Verfahren mit der Versichertenkarte sei "sehr anfällig für Manipulation" gewesen, heißt es vom Bundesbeauftragten für Datenschutz. Denn bei dem Verfahren sei technisch nicht geprüft worden, ob die verwendete Versichertenkarte tatsächlich echt sei: "Durch die reine Kenntnis der Versichertennummer einer Person hätten sich Unbefugte mit einfachen Mitteln so Zugang zu den E-Rezepten des jeweils Versicherten verschaffen können."
Mittlerweile sei hier nachgebessert worden, so dass bei der Abfrage eines E-Rezepts nun auch geprüft werde, "ob die zugehörige Karte zur Versichertennummer auch wirklich gerade im Lesegerät steckt".
Einführung mit Brechstange?
Erst vor zwei Wochen kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Zeitungsinterview an, dass Patienten zum 1. Juli das erste Mal E-Rezepte mit ihrer Versichertenkarte abrufen können. Damit sei das E-Rezept "endlich alltagstauglich", sagte Lauterbach.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung spricht von einer "Einführung mit der Brechstange". "Der Prozess ist bislang nicht getestet", sagt Vorstandsmitglied Sybille Steiner. Ihr Ziel sei gewesen, das E-Rezept per elektronischer Gesundheitskarte in den Modellregionen zu testen - und dann, wenn es funktioniert, weiter auszurollen.
Steiner warnt vor technischen Problemen, wenn das E-Rezept zur Massenanwendung wird: "Wir wissen nicht, ob das System auch tatsächlich bei hoher Auslastung läuft." In den Verwaltungssystemen einiger Arztpraxen funktionierten die Abläufe beim E-Rezept noch nicht reibungslos und anwenderfreundlich. "Das Erstellen einer digitalen Signatur für ein E-Rezept dauert länger als das Unterschreiben eines Papierrezepts."
Hoffnung und Skepsis bei Hausärzten
Auch der Deutsche Hausärzteverband äußert Bedenken. "Wir hoffen und erwarten, dass das Projekt nun endlich den Praxistest besteht, sind aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre zurückhaltend", sagt der Bundesvorsitzende Markus Beier. "Sollte es, wie bei vielen anderen Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen, am Ende wieder an der Technik hapern, dann wird das in den Arztpraxen zu einem erheblichen Mehraufwand führen." Wenn beispielsweise ein E-Rezept in der Apotheke nicht eingelöst werden kann, müssten die Patienten erneut in die Arztpraxis, um ein Papierrezept zu erhalten. Für sie bedeute dies den doppelten Weg, für die Arztpraxen und Apotheken zusätzliche Arbeit.
Der Erfolg des papierlosen Rezepts entscheidet sich also auch in den knapp 18.000 Apotheken in Deutschland. Die sind bereits seit knapp einem Jahr an das nötige Datennetzwerk angeschlossen. Für das Einlöseverfahren mit der elektronischen Gesundheitskarte müssen jedoch die jeweiligen Softwareanbieter in den Apotheken Updates installieren. Im Laufe des Julis soll das in allen Apotheken erfolgt sein, heißt es von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Auch Sicht der Apotheken könnte dann auch die Nachfrage nach dem E-Rezept steigen: Die Möglichkeit des Abrufens mit der Versichertenkarte sei "die patientenfreundlichste Lösung".
E-Rezept soll 2024 Pflicht werden
Ob das E-Rezept bald tatsächlich große Verbreitung findet, hängt neben der Technik in den Apotheken nicht zuletzt daran, ob die meisten Ärztinnen und Ärzte schon ab Juli das neue Verfahren anwenden. Eine Pflicht dazu gibt es noch nicht. Das soll sich nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums zum Jahreswechsel ändern: Dann müssen alle Praxen in der Lage sein, E-Rezepte auszustellen.