Nach der Flut im Ahrtal Zweites Weihnachten im Ausnahmezustand
Vor anderthalb Jahren zerstörte die Flut im Ahrtal ganze Dörfer. Seitdem läuft der Wiederaufbau. Für die Menschen vor Ort sind die Feiertage eine Herausforderung.
Dernau im Dezember 2022. Hier und da steht ein Christbaum, insgesamt sieht es jedoch deutlich weniger weihnachtlich aus als noch vor einem Jahr. Damals zierten geschmückte Weihnachtsbäume die noch teils schlammverschmierten Straßen und Grundstücke. Weihnachtsschmuck hing auch an Häusern, die wenig später abgerissen wurden. Es schien, als wollten die Menschen damit zeigen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen.
Diesen Kampfgeist spürt man auch jetzt noch - nur zeigt er sich anders. Die ersten Rohbauten in der Gemeinde stehen. Handwerker Sebastian Tetzlaff begann im Mai als einer der ersten mit dem Wiederaufbau. Der 38-Jährige wird in einigen Monaten in ein Haus einziehen, das er nie wollte. Es hat anthrazitfarbene Fensterrahmen und einen sachlich-nüchternen Aufbau. Ein Neubau, wie er überall stehen könnte.
"Man muss seinen Frieden schließen mit gewissen Kompromissen und weitermachen", sagt Tetzlaff. Weihnachten verbringt er das zweite Jahr in Folge in einem Wohnwagen. Der steht mittlerweile immerhin im Rohbau seines neuen Hauses.
Der Wiederaufbau im Ahrtal geht weiter.
Weihnachten im Containerdorf
Auch Hedwig und Oskar Gorbach feiern schon das zweite Weihnachtsfest im Ausnahmezustand. Das Rentnerpaar lebt seit einem Jahr in einer Art Containerdorf, das mit Hilfe von Spendengeldern in der Ortsmitte von Dernau aufgestellt wurde.
Bis zu ihrem alten Haus im alpenländischen Stil sind es nur 200 Meter. Oskar Gorbach schaut jeden Tag dort vorbei. Im Februar soll es abgerissen werden. Erst nach langem hin und her mit der Versicherung sei klar gewesen, dass das Haus nicht saniert werden kann, sagt der 85-Jährige. Bei der Flut sei zu viel Heizöl in die Wände eingedrungen.
Hedwig Gorbach sagt, sie vermisse ihr altes Zuhause schon sehr, gerade an Weihnachten. Im Container sei zu wenig Platz, um die große Krippe aufzustellen, die die Flut überlebt hat. Aber man müsse dankbar sein, sagt die Dernauerin. Sie und ihr Mann würden die Feiertage mit den Kindern verbringen, vielen Menschen auf der Welt gehe es viel schlechter als ihnen.
Das Ehepaar Gorbach bereitet sich auf Weihnachten vor.
Langsamer Wiederaufbau
In Dernau gab es vor der Flut rund 600 Häuser. 90 Prozent davon hat die Flut zerstört. Noch heute sei die Hälfte davon nicht wieder komplett bewohnbar, erzählt Bürgermeister Alfred Sebastian. Ihm geht es beim Wiederaufbau viel zu langsam vorwärts. Auch was die Infrastruktur betrifft. "Wir haben nach wie vor keinen Dorfplatz, keinen endgültigen Kindergarten, keine endgültige Schule", schimpft er. Es laufe - aber zu zähflüssig.
"Wir haben kein vereinfachtes Baurecht, verhandeln mit Versicherungen, müssen Anträge stellen und alle Aufträge ausschreiben, das alles ist viel zu kompliziert", sagt Sebastian. "Und die Baufirmen warten natürlich auch nicht nur auf uns!“
Unlängst wurde die Antragsfrist für die Wiederaufbauhilfe von Bund und Ländern um drei Jahre verlängert - bis zum 30. Juni 2026. Die Politik spricht diesbezüglich von einem Erfolg, Sebastian von einer Selbstverständlichkeit: "Anders könnten wir bei all den bürokratischen Hürden, dem Material- und Handwerkermangel ja gar nichts auf die Reihe bekommen."
Den Baustellenalltag hinter sich lassen
Ahrabwärts in Bad Neuenahr-Ahrweiler glitzert es im Kurpark. Er ist weihnachtlich beleuchtet, je nach Wetterlage verzuckert der Schnee die Bäume, Buden und Zelte. Aus den Lautsprechern kommt Musik, es riecht nach Glühwein und Bratwurst. Die Besucher stehen zusammen, unterhalten sich, lachen, genießen ein paar ruhige Minuten. Ein bisschen Normalität und Wohlfühlatmosphäre zum zweiten Weihnachtsfest nach der verheerenden Flut.
Langsam komme wirklich ein weihnachtliches Gefühl auf, sagt Frank Mies vom privaten Verein Uferlichter Kultur e.V. Der Verein organisiert seit 18 Jahren in der Weihnachtszeit die Beleuchtung im Kurpark sowie ein kulinarisches und kulturelles Programm.
"Die Veranstaltung ist aktuell insbesondere für die Bevölkerung wichtig", sagt Mies. Die Menschen hätten so die Chance, den Baustellenalltag hinter sich zu lassen und in die Weihnachtsglocke einzutauchen. "Das scheint psychisch für viele sehr, sehr wichtig zu sein."
Die Touristen kommen wieder
Zusätzlich kommen so auch wieder Touristen ins Ahrtal, konsumieren, geben Geld aus und helfen damit den Gewerbetreibenden. Wie viele Touristen tatsächlich kommen, sei schwer zu sagen, sagt Frank Mies. "Aber wir sind positiv überrascht, wie viele auswärtige Kennzeichen bei den Autos wir sehen. Das zeugt von vielen Tagesbesuchern für das Ahrtal. Aber es fehlen natürlich Hotelbetten und damit auch Übernachtungsgäste, die dann auch die Uferlichter besuchen."
Auch bei den Weihnachtslichtern ist der Wiederaufbau das zentrale Thema. Eine Anwohnerin erzählt, die Stimmung sei zweigeteilt. Es gebe die, den Wiederaufbau geschafft oder zumindest im Griff haben, und die, die nicht vorwärtskommen. Alle und überall im Ahrtal verbindet, dass alles wesentlich länger dauert, als sie gedacht haben.
In Dernau stellt sich das Ehepaar Gorbach darauf ein, dass es auch das Weihnachtsfest im kommenden Jahr noch im Containerdorf verbringt: "Unser neues Haus steht frühestens 2024." Diesem Gedanken können die beiden auch etwas Positives abgewinnen.
Der 85-jährige Oskar Gorbach sagt: "Die Hilfsorganisation versorgt uns hier optimal, außerdem bekommen wir mehr Besuch als zu Hause." Seine Frau ergänzt: "Ich singe im Chor - auch an Weihnachten. Das ist eine Tradition, die mir die Flut nicht genommen hat."