Erdogan-Besuch in Berlin Eine schwierige Partnerschaft
Es läuft derzeit nicht rund im deutsch-türkischen Verhältnis. Größte Baustelle: das Thema EU-Beitritt der Türkei. Vor seinem Deutschland-Besuch beschwerte sich Ministerpräsident Erdogan lautstark über die "Hinhaltetaktik" Berlins. Doch es gibt noch mehr Diskussionsstoff für das heutige Treffen mit der Kanzlerin.
Von Arne Meyer, NDR, ARD-Hauptstadtstudio
Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind momentan alles andere als gut. Bundesaußenminister Guido Westerwelle bemühte bei seinem Türkei-Besuch im Juli sogar die Landessprache, um das starke Interesse Deutschlands an einer Orientierung der Türkei in Richtung Europa zu betonen.
Aber wohin diese Orientierung führen soll, ist offen - etwa in der Frage eines türkischen EU-Beitritts. Seit fünf Jahren und mehr als schleppend laufen inzwischen die offiziellen Verhandlungen mit der Europäischen Union.
"Die Verhandlungen müssen fair und ergebnisoffen geführt werden", sagte Bundespräsident Christian Wulff am vergangenen Sonntag in der ARD. Und er fügte hinzu: "Manches in der Türkei geht bei Weitem nicht weit genug. Wenn wir also hier offen sind für Moscheen und Muslime und den Islam, dann ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass die Türkei auch offen sein muss für das Christentum." Damit hat Wulff in der Union keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Denn die CDU hätte gerne eine Privilegierte Partnerschaft.
Türkei verärgert über "Hinhaltetaktik"
Mehr als drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in Deutschland. Viele von ihnen sind mit dem Kurs der Bundesregierung in Sachen EU-Beitritt der Türkei nicht zufrieden. Von "Hinhaltetaktik" ist die Rede. Und kaum jemand mag derzeit glauben, dass die Türkei wirklich in die EU aufgenommen wird.
Vielleicht erhöht der türkische Ministerpräsident auch deshalb unmittelbar vor Beginn seiner zweitägigen Berlin-Visite den Druck. "Wenn ihr uns nicht wollt, dann sagt es auch, haltet uns nicht hin", sagte Erdogan.
Perfektes Timing
Das Thema EU-Mitgliedschaft der Türkei ist nur eine Baustelle im Verhältnis der beiden Länder. Kanzlerin Angela Merkel und Premier Erdogan werden bei ihrem heutigen Treffen auch über den Terrorismus reden. Während es auf deutscher Seite Befürchtungen gibt über mögliche Anschläge unter Beteiligung von türkischstämmigen Bürgern, mangelt es aus türkischer Sicht an der europäischen Unterstützung bei der Bekämpfung der kurdischen Separatistenbewegung PKK.
Das Timing für den Besuch könnte insgesamt kaum besser sein, schließlich diskutiert die Bundesrepublik seit Wochen kontrovers über das Thema Integration. Jüngster Höhepunkt: Die Aussage des Bundespräsidenten am 3. Oktober, wonach der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre wie Juden- und Christentum. Die Kanzlerin, die Ende März das letzte Mal die Türkei besucht hatte, stellte sich zwar hinter Wulff. Sie machte allerdings auch klar, "dass die vom Islam vertretenen Werte mit unserem Grundgesetz übereinstimmen müssen. Es gilt bei uns das Grundgesetz und nicht die Scharia."
Es gibt also reichlich Diskussionsstoff für das nur relativ kurze Treffen der Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten.