Schutz des Bundesverfassungsgerichts Faeser wirft Union "Fundamentalopposition" vor
Die Union will mit der Ampel nicht weiter über einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts sprechen. Innenministerin Faeser kritisiert das scharf. Auch der Deutsche Anwaltverein hält die Entscheidung für "nicht nachvollziehbar".
Muss die Arbeitsgrundlage des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz abgesichert werden? Erst schien es, als ob Ampel und Union in dieser Frage aufeinander zugingen - doch nun will die Union darüber nicht weiter sprechen.
Von Bundesinnenministerin Nancy Faeser erntet sie dafür harsche Kritik. "In diesen Zeiten braucht es staatspolitische Verantwortung statt Fundamentalopposition", sagte die SPD-Politikerin. "Wenn es darum geht, die Demokratie zu schützen, sollte für alle Demokraten gelten: erst das Land, dann die Partei."
"Widerstandskraft des Rechtsstaats stärken"
Angesichts des Erstarkens der AfD und extremistischer Ränder gibt es in der Ampelkoalition Überlegungen, die jetzige Struktur des Verfassungsgerichts im Grundgesetz abzusichern. Diese könnte dann nicht mehr mit einfacher Mehrheit, sondern nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament geändert werden. Dies geht nur mit der Union. Das könnte zum Beispiel verhindern, dass bei einem Regierungswechsel Richter vergleichsweise einfach aus dem Amt entfernt werden könnten.
"Wir müssen die Widerstandskraft unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats stärken", erklärte Faeser. "Alles andere wäre fahrlässig. Unser Rechtsstaat darf nicht von innen heraus sabotiert werden können."
Die Ministerin warnte: "Wenn autoritäre Kräfte die Demokratie angreifen, ist die Justiz oft ihr erstes Ziel." Das sei in europäischen Nachbarstaaten zu beobachten gewesen. Daher sei es notwendig, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts stärker abzusichern. Dafür biete es sich an, zentrale Regelungen zu Organisation und Verfahren in das Grundgesetz aufzunehmen.
Merz sieht keine geeigneten Vorschläge
Die Union sieht vorerst keinen Bedarf, das Bundesverfassungsgericht stärker vor Einflussnahme zu schützen. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz sagte, er schließe eine gesetzliche Änderung zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor Demokratiefeinden zwar nicht generell aus. Die Union sei hier auch gesprächsbereit. Einen brauchbaren Entwurf der Ampel-Koalition dazu habe er aber noch nicht gesehen.
Das deutsche Verfassungsgericht sei besser geschützt als dies etwa in Polen, Ungarn oder den USA der Fall sei, sagte Merz. Doch "wenn es Vorschläge geben sollte, es noch besser zu schützen, als wir es gegenwärtig ohnehin tun, dann sind wir selbstverständlich für eine Diskussion offen", sagte er in einem Videointerview der dpa.
"Wir sehen nur im Moment keine Vorschläge, die dazu wirklich geeignet sind", fügte er hinzu. Es gebe aktuell keine ernsthaften Angriffe auf das Verfassungsgericht, sagte der CDU-Vorsitzende, ungeachtet der "aufgewühlten politischen Landschaft".
"Nicht nur Vorteile"
"Es ist keine gute Idee, eine schlechte Politik mit hektischen Änderungen am Grundgesetz zu übertünchen", erklärte auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei, dem "Handelsblatt". Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe habe sich als "starke Institution" entwickelt. "Damit sollten wir respektvoll und vorsichtig umgehen."
"Die Unionsfraktion sieht derzeit keine zwingende Notwendigkeit, die Regelungen zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz zu ändern", meint auch Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU). In Gesprächen mit Vertretern der Ampelfraktionen sei deutlich geworden, dass eine Umgestaltung der rechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Vorteile habe, sagte sie der "Rheinischen Post". Solche Änderungen des Grundgesetzes müssten sehr gut überlegt sein.
"Gerichte eines der ersten Ziele von Rechtsextremen"
Vertreter der Ampel-Parteien reagierten mit Unverständnis. "Die Geschichte hat leider bereits gezeigt, dass es beim Kampf gegen Extremisten entscheidend sein kann, wie sich die Konservativen verhalten", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der "Rheinischen Post". Er hoffe, dass die Union daraus noch rechtzeitig lerne und "ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht wird".
"Auch und gerade mit Blick auf den notwendigen Schutz der unabhängigen Justiz in unserem Land muss Friedrich Merz endlich aus der Fundamentalopposition herauskommen", forderte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz.
Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, "dass höchste Gerichte und ihre Unabhängigkeit eines der ersten Ziele von Rechtsextremen sind, da man über sie die Verfassung selbst schleifen und rechtsstaatliche Errungenschaften verwässern und beseitigen kann".
Buschmann: Fortsetzung der Gespräche möglich
Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte, seine Hand sei weiter ausgestreckt. Der FDP-Politiker rief die Union dazu auf, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. "Ich wünsche mir, dass wir diese Entscheidung vielleicht noch einmal alle gemeinsam besprechen können", sagte er.
Es gehe darum, Entwicklungen wie es sie in den vergangenen Jahren in Polen und Ungarn gegeben habe, und wie sie derzeit in Israel diskutiert würden, in Deutschland auch für die Zukunft auszuschließen. Dies zu tun sei zwar "nicht tagespolitisch dringend", sagte Buschmann. Es wäre aber aus seiner Sicht klug, jetzt die Arbeitsgrundlage des Gerichts abzusichern.
Anwaltverein: Entscheidung "nicht nachvollziehbar"
Ähnlich sieht das der Deutsche Richterbund (DRB). "Ein Blick über die Grenzen Deutschlands zeigt, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten in Europa kippen können, sofern illiberale Kräfte es darauf anlegen", erklärte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Daher sollten alle Beteiligten in Bund und Ländern jetzt den Streit des politischen Alltagsgeschäfts beiseite lassen.
Es gehe darum, nach Lösungen zu suchen, wie sich das Bundesverfassungsgericht und die Justiz insgesamt "als Bollwerk der Demokratie schützen und festigen lassen". Es handele sich dabei um "eine zentrale staatspolitische Weichenstellung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, die alle Demokraten jetzt miteinander hinbekommen müssen". Das Thema sei zu wichtig für parteipolitische Profilierung.
Der Deutsche Anwaltverein forderte die Union auf, die Gespräche wieder aufzunehmen. Die Entscheidung sei "nicht nachvollziehbar", erklärte der Verband. Der Handlungsbedarf sei unter allen Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern "unbestritten."