Keine Kenntnis von Wagner-Aufstand Kritik am BND - Chef Kahl soll bleiben
Der Bundesnachrichtendienst steht wegen des Vorwurfs von Informationsdefiziten unter Druck. Eine Ablöse von BND-Chef Kahl sei nicht geplant, so ein Regierungssprecher. Kahls Vorgänger Schindler wirft der Politik Versäumnisse vor.
Die Bundesregierung hat Spekulationen über eine bevorstehende Ablösung von BND-Präsident Bruno Kahl eine Absage erteilt. "Der Bundeskanzler arbeitet (...) mit allen Chefs der obersten Bundesbehörden eng und vertrauensvoll zusammen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin auf die Frage, ob Kahl noch das vollste Vertrauen von Kanzler Olaf Scholz habe.
Vor gut einer Woche war Kritik am Bundesnachrichtendienst laut geworden - denn dieser hatte offenbar vorab keine Kenntnis von dem geplanten Aufstand der russischen Söldnergruppe Wagner im Ukraine-Krieg. Andere ausländische Geheimdienste hatten nach Medienberichten allerdings vorher Informationen.
Stegner: "Überraschungen künftig vermeiden"
SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner hatte gesagt: "Es ist im Interesse unserer Sicherheit zwingend erforderlich, dass solche Überraschungen künftig möglichst vermieden werden." Die deutschen Dienste würden von Entwicklungen "zu häufig überrascht". Den Ursachen hierfür müsse "politisch konsequent nachgegangen werden". Dies gelte auch, wenn es einen "mangelnden Informationsaustausch mit den Nachrichtendiensten unserer Verbündeten" gebe.
Der frühere BND-Präsident Gerhard Schindler, der den BND von 2012 bis 2016 geführt hatte, hielt der Politik vor, die Fähigkeiten des Bundesnachrichtendienstes in den vergangenen Jahren zu stark beschnitten zu haben. "Die Mutation von einem operierenden Nachrichtendienst in eine mit sich selbst beschäftigte Verwaltungsbehörde ist politisch gewollt. Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre haben doch genau dies bewirkt", sagte er.
"Diejenigen, die heute die Ablösung des Präsidenten fordern, haben selbst an der Beschneidung der Befugnisse des BND mitgewirkt. Von den eigenen Fehlern abzulenken, ist aber keine Problemlösung." Erforderlich sei "dringend eine Stärkung der operativen Fähigkeiten des Dienstes und eine gründliche Durchforstung der zahlreichen gesetzlichen Hemmnisse".
Schindler war in Zusammenhang mit der Affäre um die weltweite Datenschnüffelei des US-Geheimdienstes NSA und BND-Abhöraktionen gegen befreundete Staaten im Juni 2016 entlassen worden. Das Kanzleramt versetzte Schindler damals gegen seinen Willen in den einstweiligen Ruhestand.
Geäußert hatte sich auch Ex-BND-Präsident August Hanning, der dem Dienst 1998 bis 2005 vorstand. Er sagte der Zeitung "Die Welt", viele Parlamentarier seien "stolz darauf, dass der Dienst der am besten kontrollierte der Welt ist. Aber kaum jemand fragt nach der Effizienz". Der BND leide unter zu viel Bürokratie, zu wenig Rückhalt durch die Politik und nicht ausreichenden Befugnissen.
Interne Untersuchung eingeleitet
Der Dienst blickt offenbar auch selbstkritisch auf seine Informationslage rund um den Aufstand der russischen Söldnergruppe Wagner. Es sei eine interne Prüfung eingeleitet worden, um aufzuarbeiten, ob der Geheimdienst die Pläne der Wagner-Gruppe früher hätte erkennen müssen, berichtete der "Spiegel" am Freitag. Es gehe auch um die Frage, ob Hinweise ausländischer Nachrichtendienste richtig bewertet worden seien.
Die Vorwürfe gegen den BND dürften nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa an diesem Mittwoch sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch im für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen, geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages eine Rolle spielen.
Scholz: "Haben das natürlich nicht gewusst"
Scholz hatte vergangene Woche in der ARD-Sendung "Maischberger" mit Blick auf den Aufstand von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin gesagt, die Nachrichtendienste in Deutschland "haben das natürlich nicht vorher gewusst". Er ergänzte: "Aber sie haben uns dann auch immer weiter berichtet, was zu beobachten ist." Die Äußerungen waren im parlamentarischen Raum als indirekte Kritik am BND verstanden worden.
Die Wagner-Truppe hatte am Freitag und Samstag in der vergangenen Woche mehrere Militärstandorte im Süden Russlands unter ihre Kontrolle gebracht. Prigoschin kündigte einen Marsch auf Moskau an. Nach einer Vermittlung durch den belarusischen Präsidenten Alexander Lukaschenko brach er den Aufstand am Samstagabend schließlich ab.