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Legenden und Mythen Keine Verschwörung ohne "Geheimplan"

Stand: 12.05.2020 17:00 Uhr

Ob die angebliche "Umvolkung" oder vermeintliche Pläne für die Corona-Pandemie: Bei Verschwörungslegenden spielen Geheimpapiere eine zentrale Rolle. Die meisten Dokumente sind allerdings gar nicht geheim.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

"Corona - Geheimplan der Regierung entdeckt; in der BRD ist über den gesamten Zeitraum mit mindestens 7,5 Millionen Toten zu rechnen" - so beginnt ein Blog-Beitrag über angeblich brisante Unterlagen, die "zugespielt" worden seien. In einem anderen Beitrag heißt es, zum neuartigen Coronavirus sei ein "Geheimplan der Regierung" aus dem Jahr 2012 entdeckt worden.

Tatsächlich handelt es sich bei dem "Geheimplan" aber um eine "Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz", die für jeden seit Jahren frei zugänglich ist. Diese war erstellt worden, um zu prüfen, inwieweit Deutschland auf eine Pandemie vorbereitet sei.

Angeblicher EU-Geheimplan

Solche Berichte über angebliche Geheimpläne sind kein Einzelfall: Derzeit wird behauptet, Gesundheitsminister Jens Spahn habe einen angeblichen Plan für einen Impfzwang lediglich aufgegeben, weil die EU bereits ein entsprechendes Vorhaben im Verborgenen vorbereite. Als "Beweis" soll ein angeblich konspirativ verteiltes Papier herhalten. Das entsprechende Dokument "Roadmap on Vaccination" gibt es tatsächlich - es ist jedoch nicht geheim, sondern steht offen auf dem EU-Server bereit.

Es handelt sich allerdings um kein Papier zur Corona-Pandemie, sondern um eine Initiative gegen vermeidbare Krankheiten, die bereits 2018 vom Rat der Europäischen Union ins Leben gerufen worden war. Dieses soll unter anderem Vorurteile gegen Impfen abbauen und die Akzeptanz fördern sowie einheitliche Standards und gemeinsame Forschungsprojekte fördern.

Irreführung mit Patenten

Bereits seit Monaten kursiert das Gerücht, die Pandemie sei geplant gewesen. Vermeintlicher Beweis: Ein Patent auf das Coronavirus, das entdeckt worden sei. Der Haken an der Sache: Tatsächlich gibt es Patente auf Viren, um Impfstoffe zu finden. Diese Patente sind im Netz einsehbar. Doch für das neuartige Coronavirus Sars-CoV2 gibt es kein Patent. Ohnehin wäre es ein bemerkenswert dilettantisches Vorgehen, wenn jemand sich erst ein Patent sichert, um eine Pandemie auszulösen - dies aber im Netz durch eine Suchmaschine nachvollziehbar wäre.

Der Kochbuch-Autor Attila Hildmann behauptete zum Coronavirus, die Weltbevölkerung solle auf 500 Millionen Menschen dezimiert werden. Hintergrund ist, dass es in den USA eine entsprechende Inschrift auf einem Monument gebe. Warum die angeblichen Strippenzieher solcher weltweiten Verschwörungen ihre Pläne allerdings vorab auf Steintafeln verkünden sollten, bleibt unklar.

Merkels Geheimplan

Nicht nur rund um das Coronavirus, auch zur Flüchtlingspolitik wurden massenhaft Gerüchte über Verschwörungen verbreitet. So war von einer "Umvolkung" die Rede, Regierungen wollten angeblich die heimische Bevölkerung gegen Flüchtlinge austauschen. Um diese Behauptungen zu belegen, wurden mehrfach angebliche Geheimpläne präsentiert.

So meldeten rechte Medien, Angela Merkel hoffe auf zwölf Millionen Einwanderer. Dies gehe aus einem "geheimen Papier" hervor, das den "Volksaustausch" dokumentieren würde. Doch das Geheimpapier war weder geheim noch ein Plan, sondern es handelte sich um die demografische Bilanz der Bundesregierung zum Ende der 18. Legislaturperiode, die sogar per Pressemitteilung vorgestellt worden war. Darin entwarfen Forscher verschiedene Szenarien, wie sich die Bevölkerung in Deutschland entwickeln könnte.

Bei der Zuwanderung gingen sie von verschiedenen Annahmen aus, die zwischen 100.000 bis 300.000 Menschen pro Jahr variieren. Allerdings dürften diese Zahlen keinesfalls als Prognose verstanden werden. Doch die maximale Annahme von 300.000 Personen rechnete das britische Boulevardblatt "Express" einfach auf die kommenden 40 Jahre hoch - und verkündete, Deutschland hoffe auf zwölf Millionen Einwanderer.

Gerüchte über Migrationsabkommen

Auch der UN-Migrationspakt wurde als angeblicher Geheimplan für einen "Großen Austausch" gebrandmarkt. So berichtete das US-Magazin "Breitbart" 2017, das italienische Außenministerium habe eingeräumt, dass die internationale Gemeinschaft "daran arbeitet, einen globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration zu entwickeln". Damit wurde der Eindruck erweckt, das Abkommen sollte im Geheimen ausgehandelt werden.

Tatsächlich war der Prozess transparent: Die Absicht war in der "New Yorker Erklärung" gemeinsam formuliert worden. Dort hieß es, es sollten Verhandlungen beginnen, um ein globales Regelwerk auf den Weg zu bringen. Dazu gab es eine entsprechende UN-Resolution.

"Pläne sind schon geschrieben"

In den folgenden Monaten und Jahren wurde immer wieder behauptet, das Abkommen werde im Geheimen verhandelt und sei ein Geheimplan, um Millionen Flüchtlinge nach Europa zu bringen. Die "Identitären" sprachen vom "Großen Austausch", das Magazin "Compact" schrieb von einem "7-Punkte-Plan zum Volksaustausch". Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch schrieb in einem Tweet, die "Pläne für einen Massenaustausch sind längst geschrieben". Dazu verlinkte sie ein Dokument der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000.

Bei dem Dokument handelt es sich aber um keinen Plan, sondern um eine Studie. Sie beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit in Anbetracht einer alternden Bevölkerung und einer relativ niedrigen Geburtenrate ein Rückgang der Einwohnerzahl durch Migration ausgeglichen werden könnte.

Interne und geheime Papiere

Tatsächlich gibt es sehr viele Dokumente, die nicht veröffentlicht werden - sei es von Parteien, Unternehmen oder Vereinen, beispielsweise Aufzeichnungen von Besprechungen oder Verträge. Es existieren aber auch echte Geheimdokumente oder -abkommen, so beispielsweise das Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt, dessen Existenz die Sowjetführung 50 Jahre lang leugnete.

Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung oder Risikoanalysen zum Katastrophenschutz sind aber keine Geheimpapiere. Sie werden als solche interpretiert. Das bekannteste Dokument, das eine Verschwörungslegende stützen sollte, dürften die "Protokolle der Weisen von Zion" sein. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland im Umlauf gebracht - als geheime Dokumente eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern. Die "Times" wies 1921 nach, dass es sich um eine Fälschung handelt: Weder hatte es ein entsprechendes Treffen gegeben, noch waren die Protokolle echt. Doch bis heute berufen sich Antisemiten auf dieses Machwerk. Denn zu einer Verschwörungslegende gehören drei Elemente: ein angebliches Vorhaben, eine kleine Gruppe von Verschwörern sowie Dokumente, die diese Verschwörung beweisen sollen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Mai 2020 um 04:42 Uhr.