Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer stehen im Rheinauhafen am Rhein. 
Kontext

Kritik an Petition "Russland könnte Krieg jederzeit beenden"

Stand: 14.02.2023 13:32 Uhr

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben eine Petition gestartet, die sich für Friedensverhandlungen ausspricht. Dabei ist Russland daran überhaupt nicht interessiert, sagen Experten.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Manifest für Frieden" - so heißt eine am Freitag gestartete Petition von Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Journalistin Alice Schwarzer, die für anhaltende Diskussionen sorgt. Darin fordern sie Bundeskanzler Olaf Scholz auf, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen". Stattdessen solle er sich "auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen". Denn spätestens wenn die ukrainischen Streitkräfte die Krim angreifen sollten, werde der russische Präsident Wladimir Putin "zu einem maximalen Gegenschlag" ausholen.

Mehr als 360.000 Unterstützer hat die Petition bislang, darunter einige prominente Namen wie die Theologin Margot Käßmann, Schauspielerin Jutta Speidel und dem ehemaligen militärpolitischen Berater von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Erich Vad. Für den 25. Februar ist eine Kundgebung in Berlin geplant.

Petition sitzt Trugschluss auf

Die Petition suggeriert mit ihren Aussagen, dass der Ukraine am besten geholfen werden könne, indem Waffenexporte gestoppt und sich für Friedensverhandlungen eingesetzt werde.

Das sei ein Trugschluss, sagt Michael Zinkanell, zukünftiger Direktor des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES). Denn nicht die Waffenlieferungen setzten den Krieg fort, sondern Russland, welches die Ukraine angegriffen habe. "Russland könnte den Krieg jederzeit beenden - eine Option, welche die Ukraine als sich verteidigendes Land nicht hat."

Die Unterstützung des Westens habe überhaupt erst dafür gesorgt, dass die Ukraine sich bislang so erfolgreich gegen die russischen Angreifer wehren konnte, sagt Zinkanell. Mit einer Einstellung der Waffenlieferungen und den dadurch verringerten Verteidigungsmöglichkeiten der Ukraine sei es möglich, dass Russland das ursprüngliche Kriegsziel, die Eroberung Kiews, wieder aufnehmen würde. "Vermutlich wünscht sich niemand den Frieden mehr als die ukrainische Bevölkerung. Allerdings gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass Russland an Verhandlungen überhaupt interessiert ist."

Waffenlieferungen und Verhandlungen schließen sich nicht aus

Dem stimmt auch Julia Smirnova, Senior Researcherin am Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD), zu. Die Verfasserinnen würden eine komplexe sicherheitspolitische Situation verzerrt und vereinfacht darstellen. "Sie ignorieren die Tatsache, dass Russland die primäre Verantwortung für den Krieg und das Leiden der Menschen in der Ukraine trägt."

Waffenlieferungen und Vorbereitungen auf künftige Verhandlungen würden sich laut Smirnova zudem nicht ausschließen. Indem die Petition die militärische Hilfe für die Ukraine möglichen Friedensverhandlungen entgegensetze, spiele sie russischer Propaganda in die Hände.

Es gehe darum, die Unterstützung für die Ukraine im Westen zu untergraben. Die westlichen Sanktionen gegen Russland als auch die Waffenlieferungen an die Ukraine würden dabei als Risiko für die deutsche Bevölkerung dargestellt werden. "Diese Narrative knüpfen an pazifistische Einstellungen an und spielen mit Ängsten der Bevölkerung vor einer Wirtschaftskrise oder einem Atomkrieg", sagt Smirnova. Eine Eurobarometer-Umfrage zeigt allerdings, "dass 74% der EU-Bevölkerung die Unterstützung der EU für die Ukraine nach dem Einmarsch Russlands gutheißen".

Russlands Glaubwürdigkeit zweifelhaft

Russland müsste zunächst einmal in irgendeiner Form Zugeständnisse machen, um die eigene Glaubwürdigkeit zu beweisen, sagt Zinkanell. Schließlich habe der Kreml in der Vergangenheit keinen Anlass gegeben, ihm Vertrauen zu schenken. "Vor der Invasion hat Russland behauptet, sie würden keinen Angriff planen", so Zinkanell. "Im Verlauf des Krieges angekündigte Feuerpausen, wie zuletzt erst Anfang Januar, wurden ebenfalls nicht eingehalten." Zudem zeigten die russischen Gräueltaten in den besetzten ukrainischen Gebieten, dass ein Ende der Kampfhandlungen nicht automatisch Frieden für die ukrainische Bevölkerung bedeuten würde.

Das in der Petition suggerierte Szenario deutscher Bodentruppen in der Ukraine hält Zinkanell für nahezu ausgeschlossen. In der Petition heißt es wörtlich: "Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch 'Bodentruppen' senden. Doch wie viele 'rote Linien' wurden in den letzten Monaten schon überschritten?"

Lediglich bei einem UN-Mandat im Zuge einer Friedensmission könne es sein, dass Europa Soldaten in das Kriegsgebiet schickt - allerdings bräuchte es für den Fall die Zustimmung Russlands im Sicherheitsrat, was unter den aktuellen Umständen undenkbar wäre, so Zinkanell.

Nukleare Drohungen als Strategie Russlands

In dem die Autorinnen andeuteten, ein Nuklearschlag Russlands werde unausweichlich, sollte der Westen weiterhin "rote Linien" überschreiten und die Ukraine unterstützen, würden sie die russischen Androhungen eines Nuklearwaffeneinsatzes wiederholen und legitimieren, sagt Sara Bundtzen, Research and Policy Analyst beim ISD.

Im Manifest steht: "Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg?"

"Nukleare Drohungen sind Teil der russischen Abschreckungspolitik und werden seit Beginn des Krieges von der russischen Führung strategisch eingesetzt, um Ängste zu schüren und den Westen davon abzuhalten, die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen", sagt Bundtzen. In diesem Kontext würden die Autorinnen das russische Narrativ von einem angeblich drohenden Weltkrieg aufgreifen.

Verhandlungen durch westliche Unterstützung wahrscheinlicher

Insgesamt blende die Petition zahlreiche Fakten aus. "Insbesondere dass Russland in den vergangenen Monaten mit Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur, der erklärten Annexion der ukrainischen Gebiete und Mobilmachung von Hunderttausenden Soldaten den Krieg konsequent eskaliert hat", erläutert Bundtzen.

Nach Ansicht von Zinkanell kann die Unterstützung des Westens entgegen der Petition sogar dafür sorgen, dass Friedensverhandlungen eines Tages wahrscheinlicher werden. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Verhandlungen oftmals erst dann eine Option für Kriegsparteien darstellen, wenn die Aussicht auf militärischen Erfolg gering sei. Dies wiederum könne nur erreicht werden, wenn die Ukraine Russland weiterhin erfolgreich Paroli bietet.

Russland zeigt kein Interesse an Verhandlungen

Auch der ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, widersprach dem Petitionsbegehren: Ob es zu Verhandlungen zwischen den beiden Ländern kommt, hänge von Russland und Putin ab - nicht wie in der Petition suggeriert vom bewaffneten Widerstand der Ukraine. "Wir haben kein Zeichen dafür, dass Russland irgendwie interessiert ist, den Frieden zu erreichen", sagte Makeiev. Stattdessen wolle die politische Führung des Landes, "dass die Ukraine als Land nicht mehr existiert".

Im russischen Staatsfernsehen sagt etwa Radiomoderator Sergej Mardan: "Es gibt nur eine Friedensformel für die Ukraine. Die Vernichtung der Ukraine als Staat!"

ARD-Russlandkorrespondentin Ina Ruck schreibt dazu auf Twitter, dass Äußerungen wie diese in Russland zigmal so oder so ähnlich getätigt würden. In Deutschland hingegen werden in Talkshows teilweise ganz andere Bilder von Russland gezeichnet.

Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick, Erstunterzeichner der Petition, vertrat in Talkshows untere anderem die Ansicht: Russland sitze in der Ecke, "nochmal treten" sei der falsche Ansatz - und die Ukraine sei "doch sowieso verloren".

Unterstützung von Rechtsaußen

Russlandfreundliche Positionen teilen mit Wagenknecht und Schwarzer auch viele Akteure aus dem rechten und verschwörungsideoligischen Milieu. Bekannte prorussische Desinformationskanäle sowie der russische Staatssender RT teilen Petition und Demoaufruf. Auch der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla warb auf Twitter für die Petition, ebenso wie das rechtsextreme "Compact"-Magazin.

Dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer gefällt der Aufruf "außerordentlich": Es sei gut, dass "die beiden Frauen richtig reinhauen", da die Regierung die "Lemminge" an den Abgrund treibe, wie er in einem Video sagt. Man kenne viele der Erstunterzeichner, und es seien wichtige Köpfe versammelt. Allerdings, so Elsässer, hätten Wagenknecht und Schwarzer "alles, was irgendwie nach patriotisch riecht, nicht aufgenommen in die Liste der Erstunterzeichner".

Wagenknecht scheint die Unterstützung von Rechtsaußen nicht zu begrüßen und sagt gegenüber dem "Spiegel": "Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterzeichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen - und von wem eben auch nicht."

Bereits zweite Initiative von Schwarzer

Wagenknecht ist in der Vergangenheit immer wieder mit kremlfreundlichen Aussagen aufgefallen. So warf sie der Bundesregierung in einer Bundestagsrede vor, einen "Wirtschaftskrieg" gegen Russland "vom Zaun zu brechen" und forderte ein Ende der wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen gegen Russland. In einem Tweet schrieb sie, die Grünen hätten kein Interesse mehr am Klimaschutz, stattdessen habe ein "wahnsinniger Krieg gegen Russland" Priorität.

Auch Schwarzer löste mit ihren Ansichten zum Ukraine-Krieg bereits heftige Diskussionen aus. Sie hatte im April 2022 mit 27 weiteren Prominenten einen offenen Brief an Kanzler Scholz geschrieben, in dem sie vor einem Dritten Weltkrieg warnen und Scholz auffordern, "weder direkt noch indirekt" weitere schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.