Krieg gegen die Ukraine Wie China auf die russische Invasion blickt
Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine versucht China, sich als Schlichter zu positionieren. Gleichzeitig werden USA und NATO als Kriegstreiber dargestellt. Ist China neutral?
"China steht für Frieden, während die USA den Friedensprozess verhindern", "Das Vorgehen der US-geführten NATO hat die Russland-Ukraine-Spannungen auf den Höhepunkt getrieben" oder "ukrainische 'Neonazis' haben das Feuer auf chinesische Studenten eröffnet". Dies sind alles Aussagen chinesischer Staatsmedien oder Regierungsbeamter in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Obwohl sich Peking als neutraler Akteur ausgibt, welcher die "Souveränität und territoriale Integrität aller Nationen" respektiere, gebe China dem Kreml "rhetorisch Rückendeckung", heißt es in einer Studie der US-amerikanischen Stiftung German Marshal Fund. "Chinesische Beamte und staatliche Medien haben Kreml-freundliche Darstellungen über den Krieg offen unterstützt und gefördert." Dies sei bereits seit Beginn des Kriegs der Fall.
Chinesische Staatsmedien hätten kremlnahen Stimmen wie Mitarbeitern des russischen Staatsfernsehens ermöglicht, ihre Positionen einem globalen Publikum zu präsentieren. Die staatlichen chinesischen Medienseiten haben alleine auf Facebook mehr als eine Milliarde Follower - etwa zehnmal so viele wie die staatlichen russischen Medienseiten insgesamt.
China gibt offenbar laut der britischen Zeitung "The Guardian" Milliarden für russische Propaganda zum Krieg aus. Der chinesische Staat wiederhole und verbreite dabei genau die gleichen Argumente für den Ukraine-Krieg wie Putins Regime, sagt James Rubin, Leiter des Global Engagement Center, das sich mit ausländischer Propaganda auseinandersetzt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie des Asia Fact Check Labs, die chinesische und russische Narrative während der ersten 100 Tage des Angriffskriegs auf die Ukraine untersucht hat. China habe die russischen Narrative über den Einmarsch in die Ukraine reproduziert und es gebe kaum Unterschiede zwischen der chinesischen und russischen Darstellung des Kriegs.
"China nah an russischer Position"
China spricht laut German Marshall Fund etwa nicht von Krieg oder Invasion, sondern nutzt stets Begriffe wie "Konflikt", "Spezialoperation" oder "Situation", ähnlich wie es der Kreml lange Zeit tat. "In Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist China nah an der russischen Position dran", sagt auch Björn Alpermann, Lehrstuhlinhaber für Contemporary Chinese Studies an der Universität Würzburg. "Der Krieg, der in China meist Krise oder Konflikt genannt wird, sei demnach aufgrund der Expansion der NATO ausgebrochen. Es wird mit einer Schuldumkehr argumentiert, dass der Aggressor gar kein Aggressor ist, sondern provoziert wurde."
Das passe aus zwei Gründen gut ins chinesische Narrativ, sagt Alpermann. Denn antiwestliche und vor allem antiamerikanische Erzählungen würden immer wieder verbreitet werden von der KP und den chinesischen Medien. "Es wird die opportune Gelegenheit genutzt, die NATO und die USA schlecht dastehen zu lassen", sagt Alpermann. "Und zum anderen sieht sich China selbst auch umzingelt von den USA, ähnlich wie Russland. Es geht nicht nur um die Ukraine dabei, sondern es geht natürlich auch um eigene Sicherheitsinteressen."
Das bestätigt auch die Auswertung der German Marshall Fund. Narrative, die sich gegen die USA und die NATO stellen, seien zentral in der Desinformationsstrategie Chinas und seien mitunter nicht gerade subtil. Zu den am häufigsten geposteten und gelikten Beiträgen gehörte eine Karikatur, die Kinder zeigt, die einen mit Waffen gefüllten Müllcontainer mit NATO-Zeichen von einer Klippe stoßen.
Weitere falsche Behauptungen
Auch weitere Verschwörungserzählungen wie die der angeblichen US-amerikanischen Biolabore in der Ukraine wurden zahlreich verbreitet. So schreibt etwa der chinesische Generalkonsul in Auckland auf dem Kurznachrichtendienst X, dass in der Ukraine "Dutzende biologischer Labore im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums betrieben" würden und die USA mehr als "200 Millionen US-Dollar in die Aktivitäten dieser Labore investiert" hätten. Dies schließe an die Behauptung Chinas an, dass US-Bioforschungslabore für den Ausbruch des COVID-19-Virus verantwortlich seien.
Laut Asia Fact Check Lab wurden von China darüber hinaus noch weitere falsche Behauptungen aus Russland übernommen. So verbreiten chinesische Accounts falsche Behauptungen über die gegen Russland verhängten Sanktionen und teilten Behauptungen Russlands, dass der Massenmord an ukrainischen Zivilisten in Butscha durch russische Soldaten im März 2022 gefälscht gewesen wäre.
Nachdem chinesische Medien seit Mai 2022 die Ukraine oder Russland weniger erwähnt haben, stieg die Zahl laut Asia Fact Check von Februar bis April 2023 sprunghaft an - mit einer neuen Betonung Chinas als Friedensstifter, der die kriegstreiberischen Vereinigten Staaten daran hindere, den Ukraine-Konflikt zu verlängern.
Antiameerikanische Narrative, wie dieser Cartoon der "Global Times" sind ein zentraler Bestandteil der chinesischen Desinformations- und Kommunikationsstrategie.
China gibt sich neutral
Dennoch gibt sich Peking als neutrale Partei aus: "Was die Ukraine-Krise betrifft, hat China immer auf der Seite des Friedens gestanden", heißt es beispielsweise in einem Artikel der englischsprachigen Ausgabe der "Global Times", eine Tochterpublikation der chinesischen "Volkszeitung", die wiederum das offizielle Presseorgan des Zentralkomittees der Kommunistischen Partei (KP) ist.
Zudem hatte China im Februar einen Zwölf-Punkte-Plan für Friedensverhandlungen und eine Waffenruhe präsentiert. Wang Wenbin, ein Sprecher des chinesischen Auswärtigen Amts, betonte in einer Rede, dass China in der Ukraine-Frage stets eine "objektive und faire Position" einnehme und Friedensgespräche fördere statt den Kampf anzuheizen oder Waffen auf das Schlachtfeld zu schicken.
Russland und China bauen Partnerschaft aus
Doch es gibt erhebliche Zweifel an der neutralen Vermittlerrolle Chinas. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, dass er China für nicht glaubwürdig halte mit Blick auf die vermeintlich neutrale Vermittlerrolle. China habe die illegale Invasion nicht verurteilt und zudem die Partnerschaft mit Russland ausgebaut.
Denn China und Russland haben infolge der westlichen Sanktionen gegen Russland ihre Wirtschaftsbeziehungen verstärkt. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des chinesischen Handelsministeriums Waren im Wert von etwa 178 Milliarden Euro gehandelt.
"Es wird die opportune Gelegenheit genutzt, die NATO und die USA schlecht dastehen zu lassen", sagt Alpermann. Cartoons wie dieses von der "Global Times" sind dafür exemplarisch.
Kooperationen mit etablierten Medien
Um die eigenen Narrative auch international zu verbreiten, hat China bereits vor Jahren eine Strategie entwickelt. "Wo immer die Leser sind, wo auch immer die Zuschauer sind, dorthin müssen Propagandaberichte ihre Tentakel ausstrecken", sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bereits im Februar 2016. In einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Freedom House heißt es, dass China im Jahr 2017 bis zu zehn Milliarden US-Dollar für die Stärkung der sogenannten Soft Power ausgab, vier Milliarden mehr als noch 2009.
China betreibt mittlerweile Onlinemedien, TV- und Radiosender in mehreren Sprachen, darunter auch auf Englisch, Spanisch und Französisch. Zudem versucht die chinesische Regierung dem Bericht zufolge, die eigenen Ansichten in ausländischen Medien zu integrieren, beispielsweise durch Kooperationen oder die Bereitstellung von Videomaterial.
So zog der Südwestrundfunk im Jahr 2020 eine Dokumentation über den Ausbruch der Corona-Pandemie in der chinesischen Großstadt Wuhan zurück, nachdem bekannt wurde, dass Filmmaterial von einer Unterabteilung des Informationsbüros des chinesischen Staatsrates verwendet wurde, das Medienberichten zufolge auch Einfluss auf das Manuskript genommen habe. Auch an einer gemeinsamen Sendung des Norddeutschen Rundfunks mit dem englischsprachigen Kanal CGTN des chinesischen Staatsfernsehens China Central Television (CCTV) im Jahr 2017 gab es Kritik.
Auch in Printmedien versuchte China die eigenen Narrative zu verbreiten - mit sogenannten Advertorials, also Werbung in Form von Zeitungsartikeln, die eine ähnliche Aufmachung wie der Rest der Zeitung haben. Weltweit wurden in renommierten Zeitungen solche Advertorials mit wohlwollenden Texten über China geschaltet, unter anderem in der "Süddeutschen Zeitung".
Ehemalige Politiker als Multiplikatoren
Da diese chinesischen Vorstöße in Deutschland und anderen westlichen Ländern jedoch auf viel Kritik stießen, versuche China es inzwischen eher über indirekte Wege, sagt Kristin Shi-Kupfer, Professorin für Sinologie an der Universität Trier. "Es wird versucht, sich Fürsprecher zu suchen, die in der deutschen Öffentlichkeit ein gewisses Standing haben, beispielsweise ehemalige Politiker." Durch diese Multiplikatoren erhoffe man sich, die deutsche Öffentlichkeit oder zumindest gewisse Gruppierungen für regierungsfreundliche Narrative zu gewinnen.
In dem Bericht von Freedom House wird unter anderem der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder erwähnt, der in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters unter anderem die Berichte von Augenzeugen über Lager für die uigurische Minderheit in China als "Geschwätz" bezeichnete und für eine engere Zusammenarbeit mit China warb.
Insgesamt schätzt Shi-Kupfer den Erfolg der chinesischen Bemühungen zumindest in den liberalen Demokratien als gering ein. Anders sehe das beispielsweise in autoritär oder sogar totalitär geführten Staaten aus. "Auch Länder, die sowohl materiell als auch ideell von einer oftmals als sehr kolonialisierten Unterstützung empfundenen Entwicklungshilfe des Westens enttäuscht sind, sind offener für die chinesischen Narrative." Viel hänge auch davon ab, ob die wirtschaftlichen Investitionen Chinas im Land insgesamt als förderlich wahrgenommen würden.
Besonders in den Ländern des globalen Südens verfange die chinesische "Soft Power"-Strategie. "Ein beliebtes Narrativ Chinas ist, dass der Westen mit zweierlei Maß messe", sagt Shi-Kupfer. "Es wird gesagt, dass viele liberale Demokratien gerne aus einer moralischen Erhabenheit heraus kritisieren, sie selbst jedoch ebenfalls viel Dreck am Stecken haben." Das stoße in einigen Ländern auf viel Zuspruch. Ebenso wie das Narrativ, dass sich China im Gegensatz zum Westen wirklich um den globalen Süden kümmere.
Chinesische Unternehmen bauen Infrastruktur auf
Chinesische Unternehmen sind auch beim Ausbau der Infrastruktur von Medien vor allem in afrikanischen Ländern maßgeblich involviert. Der chinesische Anbieter StarTimes hat eigenen Angaben zufolge etwa 13 Millionen Abonnenten in 30 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent. In den Paketangeboten werden Berichten zufolge die chinesischen Sender gegenüber internationalen Sendern wie BBC bevorzugt, beispielsweise weil sie im Gegensatz zur internationalen Konkurrenz bereits in den günstigeren Basispaketen enthalten seien.
"China bietet zudem Ausbildungen und Trainings für Journalisten aus Ländern des globalen Südens an", sagt Alpermann. "Und da wird auch versucht, bei diesen Journalisten ein positives Bild von China zu verankern, damit sie das dann weiterverbreiten."
Wie erfolgreich die Maßnahmen Chinas insgesamt sind, lässt sich nach Ansicht von Experten schwer messen. "Es gibt Studien, die zeigen, dass es schon einen gewissen Einfluss gibt", sagt Alpermann. "Aber es ist jetzt auch nicht so, als würden die chinesischen Narrative meinungsbeherrschend werden." Viel hänge davon ab, wie aufnahmebereit die Rezipienten für diese Sichtweisen seien.