Eine Krankenschwester prüft ein Beatmungsgerät in einem Zimmer der Intensivstation in Schwerin
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Beatmung von Covid-19-Patienten Studie irreführend zitiert

Stand: 29.04.2020 12:38 Uhr

"Rund 90 Prozent der Beatmungspatienten sterben" - so und ähnlich berichteten Medien über eine aktuelle Untersuchung aus New York. Doch die genannte Zahl ist verkürzt und lässt wichtige Informationen weg.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

In der Corona-Krise werden Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien schnell zu Schlagzeilen. Dabei können komplexe und vorläufige Aussagen ungenau oder sogar irreführend verstanden werden. So berichteten Medien weltweit über eine Studie aus den USA, der zufolge fast 90 Prozent der beatmeten Corona-Patienten in New York gestorben sei. "Die Welt" schrieb: "Studie aus New York - Rund 90 Prozent der Beatmungspatienten sterben".

"Focus Online" berichtete: "Neue Corona-Studie: Knapp 90 Prozent der Beatmungspatienten sterben in New York". Mediziner wollten nun neue Wege gehen, heißt es. Dieser Beitrag wurde unter anderem in der Facebook-Gruppe "Gib Gates keine Chance" geteilt, die Verschwörungslegenden rund um die Pandemie verbreitet.

Drei Viertel der Patienten nicht berücksichtigt

Doch das Ergebnis der Studie ist längst nicht so eindeutig, wie es solche Berichte nahelegen. Zwar gibt es durchaus eine Diskussion über den sinnvollen Einsatz von Beatmungsgeräten, doch die Zahl von knapp 90 Prozent ist irreführend, wie die Seite Politifact feststellt. Denn die Todesrate von 88 Prozent bezieht sich lediglich auf die Patienten, die in dem Untersuchungszeitraum entweder starben (282 Personen) oder sich bereits erholten (38 Personen). Damit werden aber rund drei Viertel der an der Untersuchung beteiligten, nämlich 831 Patienten, einfach nicht berücksichtigt, da sie am Ende der Studie noch an einem Beatmungsgerät lagen.

Die Studie war im renommierten Journal of the American Medical Association veröffentlicht worden. Darin untersuchten Forscherinnern und Forscher den Verlauf der Covid-19-Erkrankung bei insgesamt rund 5700 Patienten, die zwischen dem 1. März und dem 4. April in zwölf Krankenhäusern im Großraum New York aufgenommen worden waren. Die Berichterstattung fokussierte sich dann aber auf die verstorbenen Patienten. Dabei gaben die Forschenden die Sterblichkeitsrate aber nicht mit 88 Prozent an, sondern mit 24,5 Prozent - nämlich 282 von 1151 Patienten.

Untersuchte beatmete Patienten (eingeliefert zwischen dem 1. März bis 4. April)
Verstorben Beatmung nicht mehr notwendig Weiter beatmet Insgesamt
282 38 831 1151

Schwerkranke Patienten überrepräsentiert?

Intensivmediziner in den USA kritisierten diese Fokussierung auf die Sterblichkeitsrate von 88 Prozent. Wenn man sich auf diese Zahl konzentriere, könnte man zu dem Schluss kommen, es sei sicherer kein Beatmungsgerät einzusetzen. Aber das sei falsch, sagte Richard Savel vom SUNY Downstate College of Medicine in New York: "Es ist ein Irrglaube, dass die Vermeidung einer Intubation um jeden Preis irgendwie Leben retten wird."

Fachleute weisen auf einen weiteren Punkt hin: Patienten mit schweren Vorerkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Krebs werden von dem Virus besonders hart getroffen. Sie würden relativ früh vom Beatmungsgerät genommen und in die Palliativmedizin oder ein Hospiz verlegt. Aufgrund des kurzen Zeitfensters dieser Studie könnten diese Art von Patienten unter verstorbenen Patienten überrepräsentiert sein, vermutet Todd Rice von der Vanderbilt University.

Im Gegensatz dazu haben die Patienten, die weniger schwere Grunderkrankungen haben, "die beste Gesamtprognose", sagt Rice. Diese Patienten werden wahrscheinlich länger am Beatmungsgerät bleiben, so dass sie in der Gruppe, deren Ergebnisse noch unbekannt sind, überrepräsentiert sein könnten.

New York besonders schwer getroffen

Experten gaben zudem zu Bedenken, dass Krankheitsverläufe nicht zu früh ausgewertet werden sollten, Bei Covid-19 wäre es besser, erst nach 30 bis 90 Tagen nach Ausbruch der Krankheit Aussagen über die Sterblichkeitsrate zu treffen. Ein weiterer Faktor sei, dass die Studie in New York City, der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Region der USA, durchgeführt wurde, so dass sie möglicherweise nicht repräsentativ sei, sagte Luciano Lemos-Filho vom National Jewish Health in Denver.

Eine neue Studie wurde von Forschern der Emory Universität veröffentlicht. Sie untersuchten 217 kritisch kranke Coronavirus-Patienten in Einrichtungen in Georgia, das nicht so stark betroffen ist wie New York City. Dabei wurde eine weitaus geringere Sterblichkeitsrate bei Patienten an Beatmungsgeräten festgestellt - nämlich knapp 30 Prozent. "Ein Hauptfaktor für die Mortalität scheint die Belastung des Gesundheitssystems zu sein", sagt der Medizinprofessor Greg Martin, einer der Koautoren des Papiers.

Das Papier über die Sterblichkeit in New York soll aktualisiert werden, wenn die Ergebnisse für die gesamte Patientengruppe bekannt sind.