Mehrere Spritzen mit Corona-Impfstoff liegen auf dem Tisch in einer Arztpraxis.
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Corona-Vakzine Ärzte als Impfskeptiker

Stand: 24.01.2022 14:31 Uhr

Immer wieder machen Gruppen von Ärzten auf sich aufmerksam, die mit fragwürdigen Argumenten den Nutzen von Impfungen anzweifeln. Auch Politiker beziehen sich auf solche Aussagen.

Von Christian Saathoff, ARD-aktuell

In einem offenen Brief hat die Initiative "Ärzte stehen auf" gewarnt, die Corona-Impfung würde nicht vor einem schweren Verlauf schützen und berge Risiken. "Allenfalls bei alten Menschen und solchen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf könnte eine eventuell vorhandene Schutzwirkung der Impfung überwiegen", heißt es in dem Brief, der unter anderem an die Gesundheitsminister der Länder, die im Bundestag vertretenden Parteien sowie die Bundesregierung adressiert ist. Der absolute, individuelle Nutzen der Impfungen sei "im Bevölkerungsdurchschnitt marginal".

Unterzeichnet haben den Brief 380 Mediziner verschiedener Fachrichtungen sowie die Initiative "Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung".

Unvollständige Behauptungen als Belege

Ihre Behauptungen belegen die Verfasser des Briefs mit Fußnoten zu wissenschaftlichen Studien; allerdings sind Verweise in dem Schreiben unvollständig, falsch - oder es fehlt eine Gewichtung der Aussagen.

Die Autorinnen und Autoren behaupten, wegen der kurzen Beobachtungszeit und der zu geringen Ereigniszahlen könnten keine Aussagen zur Verhinderung von schweren Verläufen oder Todesfällen durch die Impfung getroffen werden. Diese Behauptung lässt außer Acht, dass in Deutschland bereits seit mehr als einem Jahr Impfstoffe gegen Corona verimpft werden und zur Pandemie-Bekämpfung beigetragen haben.

Wirksamkeit nachgewiesen

Gegen die Delta-Variante haben die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna sowie der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca eine sehr hohe Wirksamkeit: die Wahrscheinlichkeit, dass Geimpfte damit vor einer schweren Corona-Erkrankung geschützt werden und sie nicht im Krankenhaus behandelt werden müssen, liegt nach Angaben des Robert Koch-Instituts bei etwa 90 Prozent. Gegen eine symptomatische Erkrankung schützen die Impfstoffe laut RKI zumindest mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent.

Auch gegen die Omikron-Variante schützen nach ersten Studien die Impfungen, wenngleich weniger effektiv. Entsprechend empfehlen Experten wie der Virologe Christian Drosten eine Dreifach-Impfung. Dadurch senke allein die Wahrscheinlichkeit, sich überhaupt mit der Omikron-Variante zu infizieren, um 54 Prozent, so Drosten.

Zudem ist nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) die Mehrheit der Corona-Patienten in den Intensivstationen ungeimpft.

Die Verfasser des Schreibens hingegen führen als Beleg für ihre These eine Studie an, in der Geimpfte und Nicht-Geimpfte hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit verglichen wurden, mit einer Infektion ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Sie behaupten: Die "relative Risikoreduzierung", also die Wahrscheinlichkeit, als geimpfte Person vor einem schweren Verlauf mit Krankenhausaufenthalt geschützt zu sein, liege laut der Studie bei 58 Prozent. Die Studie nennt in diesem Zusammenhang allerdings eine höhere Zahl, nämlich 74 Prozent. Entsprechend resümiert die Studie auch: "Die Studie legt nahe, dass der BNT162b2-mRNA-Impfstoff [von Biontech/Pfizer, Anm.] für eine Vielzahl von Covid-bezogenen Outcomes effektiv wirkt."

Auf Nachfrage von tagesschau.de schreibt einer der unterzeichnenden Mediziner, es sei "eher intransparent, auf welchem Rechenweg" die Studie zu dem Ergebnis gekommen sei. Wie die Verfasser des Briefes auf die Zahl 58 Prozent kommen, erläutert er nicht. "Mimikama" hatte bereits über die falsche Zahl berichtet.

Debatte um Kinder und Jugendliche

Auch auf die Debatte um Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche gehen die Verfasser des Briefs ein. Nach derzeitigen Erkenntnissen ist das Risiko eines schweren Corona-Verlaufs bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen geringer. Darauf beziehen sich auch die Verfasser des Schreibens - behaupten allerdings gleichzeitig, dass Kinder und Jugendliche "wahrscheinlich" häufiger von Herzmuskelentzündungen betroffen seien. Allerdings belegen sie diese Aussage nicht; ebenso wenig wie die Behauptung, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssten häufiger geimpft werden, um eine schwere Erkrankung oder einen coronabedingten Tod zu verhindern.

Aus diesen Behauptungen leiten die Verfasser die Schlussfolgerung ab, dass "allenfalls bei alten Menschen und solchen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf" eine "eventuell vorhandene Schutzwirkung der Impfung" überwiegen könnte. Damit lassen die Verfasser dabei den Nutzen der Impfung für die (in Deutschland statistisch größte) Bevölkerungsgruppe der 20- bis 60-jährigen komplett außer Acht.

Auf Nachfrage von tagesschau.de behauptet einer der Unterzeichner, die derzeit vorliegenden Daten gäben keine generelle Empfehlung für diese Bevölkerungsgruppe her, denn dafür seien die vorliegenden Studien zu schwach. Studien, die die Effektivität der Impfung belegen, unterstellt er "Rechentricks".

AfD beruft sich auf Brief

Trotz der teils fragwürdigen Argumentation finden die Aussagen in dem Brief Verbreitung - nicht nur über soziale Netzwerke, sondern auch durch Politiker. So führte der AfD-Politiker Tino Chrupalla im ARD-Morgenmagazin die Initiative als Argument gegen die Impfpflicht an und wiederholte die Warnung davor, Kinder und Jugendliche gegen Corona zu impfen.

"Wir sehen ja, dass wir trotz einer Impfquote von ca. 70 % nicht alle geschützt sind", Tino Chrupalla, Fraktionsvorsitzender AfD, zur Diskussion über eine Corona-Impfpflicht

Morgenmagazin

In der Liste der Unterzeichnenden finden sich Personen, die den Sinn der Corona-Impfung anzweifeln oder Corona verharmlosen. Etwa ein Arzt aus Hamburg, der ursprünglich zu den führenden Köpfen der Bewegung "Ärzte für Aufklärung" gehörte. Mehrere Unterstützer dieser Bewegung haben nachweislich Atteste gegen das Tragen von Masken ausgestellt - ohne vorherige Untersuchung. Auch der Mediziner Sucharit Bhakdi hat den Brief unterzeichnet. Gegen ihn ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft wegen antisemitischer Äußerungen.

Rolf Kron, ebenfalls Unterzeichner und nach eigener Aussage "praktischer Arzt und Homöopath", betreibt auf Telegram einen Kanal, der den gleichen Namen trägt wie die Initiative "Ärzte stehen auf". Ähnlich wie Bhakdi ist Kron als Redner auf "Querdenker"-Kundgebungen aufgetreten Auch gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft ermittelt. Er steht im Verdacht, in 117 unrichtige Gesundheitszeugnisse zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt zu haben. Auf eine Anfrage von tagesschau.de reagierten weder Bhakdi noch Kron.

Kritik von Ärzteverband

Klaus Reinhard, Präsident der Bundesärztekammer, an die der offene Brief ebenfalls verschickt wurde, übt Kritik an diesem und ähnlichen Schreiben. "Praxen berichten, dass sie Schreiben von Impfgegnern im juristischen Duktus mit Falschbehauptungen zu Corona, beziehungsweise zu den Corona-Impfstoffen erhalten. Ganz offensichtlich sollen diese Schreiben Ärztinnen und Ärzte verunsichern und so die Impfkampagne in Deutschland stören", so Reinhard gegenüber tagesschau.de.

"Dies wird jedoch nicht gelingen, denn natürlich sind die Ärztinnen und Ärzte umfänglich über die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe informiert, das schließt auch die selten vorkommenden Nebenwirkungen sowie Haftungsfragen mit ein. Diese Schreiben sind zwar ärgerlich und lästig. Sie ändern aber nichts daran, dass sich die Ärztinnen und Ärzte mit großem Engagement in die Impfkampagne einbringen."

Auf Nachfrage von tagesschau.de schreibt einer der Unterzeichner des offenen Briefes, man weise den Vorwurf von falschen, unvollständigen oder unbelegten Behauptungen in dem Schreiben entschieden zurück. Bei der Gruppierung handele es sich nicht um "generell 'impfkritische' Ärzte", sondern man beurteile Impfungen nach der aktuellen Evidenzlage, um dann mit den Patientinnen und Patienten "zu einer partizipativen, informierten Entscheidung zu kommen, ob die Impfung für den jeweiligen Menschen in seiner Ganzheit sinnvoll" sei.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 23. Dezember 2021 um 08:12 Uhr.