US-Wahl 2024
Demokraten im US-Wahlkampf "Jetzt ist Trump der alte Kandidat"
Vizepräsidentin Harris bekomme zwar Rückhalt von den US-Demokraten, aber ihre Übernahme der Präsidentschaftskandidatur sei deswegen nicht ausgemacht, meint die Politologin Clüver Ashbrook. Bei den Republikanern sieht sie "einen Chaos-Moment".
tagesschau.de: Wie groß ist der Rückhalt für US-Vizepräsidentin Kamala Harris in der Demokratischen Partei?
Cathryn Clüver Ashbrook: Der Rückhalt für Harris in der Partei scheint zumindest stabil. Aber ist das tatsächlich ein Rückhalt für sie als Kandidatin? Oder ist es der Drang einer Partei, so kurz vor dem großen Parteitag Chaos zu vermeiden?
Über Nacht haben von 3.900 Parteitagsdelegierten mehr als 500 Delegierte gesagt, sie seien an Kamala Harris' Seite. Das sind natürlich Delegierte, die sowieso für sie als Vizepräsidentin stimmen wollten. Es ist also keine große Überraschung. Aber wir haben auch gesehen, dass der Partei über Nacht mehr als 40 Millionen Euro in die Wahlkampfkasse fließen konnten.
Dennoch: Parteiältere wie Barack Obama und Nancy Pelosi haben sich entweder nicht geäußert oder haben sich stark für einen offenen Parteitag ausgesprochen. Zumindest ein großer oder ein wichtiger Teil der Partei scheint einen demokratischen Prozess vorzuziehen, in dem noch mal offen abgestimmt wird. Und das zeigt auf, dass die Partei ihre Fraktionen im Griff haben muss, um aus diesem Moment gestärkt herauszugehen.
Cathryn Clüver Ashbrook ist eine deutsch-amerikanische Politologin und Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung. Sie leitete gemeinsam mit dem US-Diplomaten R. Nicholas Burns Forschungsprogramme an der Harvard Kennedy School, unter anderem zur Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Von 2021 bis 2022 war sie Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
tagesschau.de: Denken Sie, dass bestimmte Gruppierungen in der Partei andere Kandidaten bevorzugen oder geht es ihnen um den basisdemokratischen Prozess?
Clüver Ashbrook: Das ist tatsächlich schwer zu erkennen. Aber es macht zumindest deutlich, welche Spaltungen in der Partei noch existieren. Viele werden sich jetzt die Umfragewerte von Harris im Vergleich zu Donald Trump anschauen. Und die sind - jedenfalls noch - nicht viel besser als die von Joe Biden. Nun muss man dazu sagen, dass sie bislang natürlich immer als Vizepräsidentin mit Biden wahrgenommen worden ist.
Die jetzt beginnenden Diskussionen, ob Harris die geeignete Kandidatin sei oder nicht, ist zumindest für die Wirkung der Partei auf nationaler Ebene im ersten Moment gefährlich.
"Harris hat ganz klar einen Vorteil"
tagesschau.de: Wer hätte laut Umfragen am meisten Erfolgschancen gegen Trump?
Clüver Ashbrook: Die Umfragen und deren Einordnung sind momentan schwierig. Auch weil man bestimmte potenzielle Kandidaten noch nie in einem nationalen Wahlkampf gesehen hat. Man müsste sich jetzt eigentlich Umfragen über einige Wochen anschauen.
Jene Kandidaten, die innerhalb der Demokratischen Partei bislang aber besonderes Interesse weckten sind Menschen wie die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, oder Pete Buttigieg, der Infrastrukturminister. Aber etwa Whitmer und Newsom haben ganz klar gesagt, sie würden sich an die Seite von Harris stellen. Spekulationen um andere Kandidaten sind also so lange Luftblasen bis die Partei sich wirklich auf einen offenen Prozess einigt.
Und dann wäre es für diese Kandidaten, die weit, weit abgeschlagen, quasi von hinten ein nationales Feld aufrollen müssen, ein unglaublicher Sprint hin zum Nominierungsparteitag der Demokraten ab dem 19. August. Denn sie müssten binnen kürzester Zeit nicht nur einen nationalen Bekanntheitsgrad erreichen, sondern auch Wahlkampfkassen füllen können.
Harris hat den Namensvorteil, den medialen Vorteil, nationale Präsenz. Und sie hat Zugriff auf die gemeinsame Wahlkampfkasse mit Biden. Über Nacht haben sie in diesem Zusammenhang alle juristischen Hürden geklärt. Harris hat derzeit also ganz klar einen Vorteil.
"Kämpferische Art hat sie wiedergefunden"
tagesschau.de: Welche Lehren kann Harris aus ihrer gescheiterten Vorwahlkandidatur 2020 ziehen?
Clüver Ashbrook: Die Situation damals war ganz anders. Harris hatte 2020 ein schlecht organisiertes und schlecht finanziertes Team. Auch von dem Wahlkampf in den vergangenen Wochen und Monaten wird sie viel gelernt haben. Sie ist heute viel redegewandter, viel schlagkräftiger. Sie ist viel präsenter auf Bühnen, auch vor skeptischem Publikum.
Die kämpferische Art, die sie als Generalstaatsanwältin in Kalifornien einst hatte und die man zwischenzeitlich vermisst hatte, hat sie nun wiedergefunden. Das wird sie wieder für sich reklamieren müssen.
"Narrativ der individuellen Freiheiten"
tagesschau.de: Womit könnte eine Kandidatin Harris inhaltlich gegen Trump punkten? Welche inhaltlichen Stärken hat sie?
Clüver Ashbrook: Harris hat sich in diesem Wahlkampf bislang auf ganz bestimmte Themen festgelegt, die sie glaubhaft verkörpern kann. Doch ihr Themenspektrum wird sie deutlich erweitern müssen, auch mit außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Themen.
Ihre größte inhaltliche Stärke ist das Narrativ der individuellen Freiheiten. Das kann sie glaubhaft verkörpern. Sie ist ausgebildete Juristin und war die oberste Juristin in Kalifornien. Sie kann darlegen, dass Trump einen Umbau der US-Demokratie, eine Beschränkung der Rechtsstaatlichkeit plant und das Justizministerium unter die Kontrolle der Exekutive bringen will, um auf Ideologie zu schalten. Das kann sie mit ihrer Vergangenheit gut anprangern.
Zum Thema Individualrechte gehört auch das Verbot von Abtreibungen. Das haben die Republikaner zwar aus wahltaktischen Erwägungen aus dem Wahlprogramm gestrichen, es bleibt aber etwas, was die Republikaner eigentlich wollen. Das wird Harris zu entlarven versuchen. Das 100-Tage-Programm der zweiten Biden-Harris Regierung macht ein Gesetz zum Schutz vom Individualrecht auf Abtreibung zum Wahlversprechen - daran wird sie sich halten wollen.
Und dann geht es ihr glaubhaft um die Frage, wofür Amerika steht: als Vision, als Idee, nicht als Nation. Auch in ihrer eigenen Person, der Kombination aus jamaikanisch, indisch, amerikanisch, kalifornisch - und als Frau. Da ist viel drin für viele Wähler.
In den Bereichen Wirtschaft und Klima wird sie eigene Akzente setzen müssen. Darauf werden besonders unabhängige Wähler schauen. Ein großer Auftrag für Harris als Vizepräsidentin war es, mit Regierungen in Zentralamerika über die Migrationskrise zu sprechen. Dass sie es nicht geschafft hat, die diplomatischen Beziehungen zu verbessern - auch weil sich dann die Fluchtursachen der Schutzsuchenden verändert haben -, werden die Republikaner ihr vorwerfen. Für das Thema Migration braucht sie also eine gute Strategie.
Darüber hinaus muss sie zwei Dinge tun: Einerseits Stärke zeigen, wortgewandt sein, sie muss in den Themen drin sein. Und sie muss menschennah wirken. Das ist immer die Crux von Frauen in der Politik: Diese Kombination aus Härte, aus Direktheit, aus Tiefe in der politischen Materie - und andererseits der Erwartung, dass sie besonders menschennah sein sollen. Dabei sollen sie nicht zu nah wirken, aber auch nicht kratzbürstig. Das ist immer der ganz große Spagat.
"Weißer Mann aus einem Swing State"
tagesschau.de: Wer wird als Vize von Harris gehandelt?
Clüver Ashbrook: Ganz klar ist, dass der Vizepräsident ein Mann sein muss und dass er aus einem Swing State kommen muss. Das sind die wichtigsten Kriterien, nachdem jetzt die Demokratische Partei einen Vizepräsidentschaftskandidaten aussuchen wird - und auch da scheiden sich die Geister, ob dieser schon vorher mitgeteilt werden soll.
Die möglichen Kandidaten, die am höchsten gehandelt werden, sind zum einen der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, ein 51-jähriger, ehemaliger Staatsanwalt - ein sehr erfolgreicher, sehr beliebter Gouverneur in einem schwierigen Swing State, in dem ja auch der Attentatsversuch auf Donald Trump stattfand.
Ein weiterer möglicher Kandidat ist Mark Kelly, Senator aus Arizona, ein Staat, der zunehmend zum Swing State geworden ist. Kelly ist auch deshalb sehr berühmt, weil er einst mit seinem Zwillingsbruder Astronaut der NASA war.
Etwas weiter abgeschlagen sind zum Beispiel der Gouverneur von Maryland, Wes Moore, und der von Kentucky, Andy Beshear. Ich glaube nicht, dass es Moore werden wird, denn auch er ist Afroamerikaner. Ich tippe eher auf einen weißen Mann mit Erfahrung und guten Popularitätswerten, der die Stimmen aus einem Swing State mitbringen kann.
Republikaner ohne schlüssige Strategie
tagesschau.de: Ein Blick auf die Republikaner: Wie wird sich jetzt deren Wahlkampf verändern?
Clüver Ashbrook: Man sieht, dass unter den Republikanern leichte Panik ausbricht, weil sie nicht genau wissen, wie die Strategie gegen Harris oder einen möglichen Drittkandidaten aussehen könnte. Es gab zunächst alle möglichen chaotischen Reaktionen aus dem Trump-Lager. Er selbst hat sich erst einmal weiterhin auf Biden konzentriert, anstatt Harris ins Visier zu nehmen. Das zeugt auch davon, dass sie sich wirklich mit dem Risiko einer Kandidatin Harris noch nicht auseinandergesetzt haben.
Das stärkste Argument, das die Republikaner im nationalen Wahlkampf bislang hervorbrachten, war der Verweis auf Bidens Alter und seine vermeintliche Inkompetenz. Jetzt ist Trump der alte Kandidat im Wahlkampf. Auch er ist schon verschiedentlich während seines Wahlkampfs eingeschlafen, schien nicht ganz da und machte bei seinen Reden auch nicht immer einen besonders aufgeräumten Eindruck. Wie jetzt mit Trumps Alter umgegangen wird, ist noch nicht klar.
Zumindest in diesem Moment habe ich das Gefühl, dass die Republikaner noch keine schlüssige Strategie haben. Da erleben wir zumindest jetzt einen Moment des Chaos.
Das Gespräch führte Christoph Schwanitz, tagesschau.de.
In einer früheren Fassung des Interviews wurde Mark Kelly fälschlich als Gouverneur statt als Senator des US-Bundesstaats Arizona bezeichnet. Wir haben dies korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen