Israels Armeesprecher über Hamas "Sie wollen dieses Bild der Zerstörung"
Nach den israelischen Angriffen auf Dschabaliya gibt es Kritik, das UN-Menschenrechtsbüro schließt auch ein Kriegsverbrechen nicht aus. Israels Militär betont, die Kämpfe richteten sich nicht gegen Zivilisten. Die Hamas verschanze sich hinter ziviler Infrastruktur.
Das israelische Militär kann nach eigener Darstellung noch nicht sagen, wie viele Zivilisten bei seinen Angriffen im Flüchtlingslager Dschabaliya getötet wurden. Die im Gazastreifen herrschende militant-islamistische Hamas verschanze sich dort absichtlich hinter ziviler Infrastruktur, sagte Armeesprecher Daniel Hagari vor Journalisten. "Sie wollen dieses Bild der Zerstörung."
Hagari sprach von einem Dilemma für die Armee. Einerseits wisse sie, dass sich in der Gegend noch immer Zivilisten aufhielten - obwohl das Gebiet aufgrund der Präsenz der Hamas als "rote Zone" ausgewiesen sei. Zugleich sei die Aktivität der Hamas in dem Flüchtlingslager für die israelische Armee eine Bedrohung, auf die sie reagieren müsse.
Sprecher: Weiter "sichere Korridore" in den Süden
Die Kämpfe im Gazastreifen richteten sich aber nicht gegen die dortige Zivilbevölkerung, betonte Hagari. Er appellierte deshalb erneut an die Menschen in Dschabaliya und anderen Gebieten im Norden des Küstengebiets, sich in den Süden zu begeben. Die Armee schaffe dafür weiterhin "sichere Korridore".
Aufnahmen zeigen die verheerenden Folgen des Angriffs am Dienstag, bei dem Armeeangaben zufolge auch Tunnel der Hamas einstürzten und einen Krater hinterließen. Nach Darstellung der israelischen Armee galt der Luftangriff einem Drahtzieher des Massakers an israelischen Zivilisten am 7. Oktober. 50 Terroristen seien bei dem Einsatz in Dschabaliya getötet worden. Das von den Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen erklärte hingegen, unter den Opfern seien viele Zivilisten.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Berichte über erneuten Angriff
Auch am Mittwoch gab es nach Angaben mehrerer Nachrichtenagenturen einen Angriff auf das Flüchtlingslager. Wie die AFP berichtet, meldete das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen erneut Opfer. "Dutzende" Menschen seien getötet und verletzt worden, als israelische Kampfflugzeuge das Flüchtlingslager bombardiert hätten. Israel machte zu einem neuerlichen Angriff bisher keine Angaben.
Das Militär bekämpft derzeit vor allem im Norden die Einrichtungen der islamistischen Hamas. Doch auch im Süden kam es bereits zu israelischen Luftangriffen. Nach Darstellung Hagaris kommt es dort in den für die Zivilbevölkerung ausgewiesenen Gebieten ausschließlich zu gezielten Attacken auf individuelle Führer der Hamas. Der Bereich sei keine "sichere Zone", betonte er. "Aber es ist ein sichererer Ort als jeder andere Ort in Gaza."
UN-Menschenrechtsbüro: Möglicherweise Kriegsverbrechen
Mehrere UN-Vertreter hatten sich zuvor kritisch zu Israels Vorgehen im Gazastreifen geäußert. UN-Generalsekretär António Guterres ließ über seinen Sprecher Stéphane Dujarric ausrichten, er sei "entsetzt" über die eskalierende Gewalt - insbesondere mit Bezug auf "israelische Luftangriffe in Wohngebieten des dicht besiedelten Flüchtlingslagers Dschabaliya". UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sprach mit Blick auf den Angriff auf Dschabaliya von der jüngsten "Grausamkeit", welche die Bevölkerung des Gazastreifens treffe.
Das Menschenrechtsbüro der UN schloss nicht aus, dass der Luftangriff auf Dschabaliya ein Kriegsverbrechen darstellen könnte. "Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und des Ausmaßes der Zerstörung (...) sind wir ernsthaft besorgt, dass es sich um unverhältnismäßige Angriffe handelt, die Kriegsverbrechen darstellen könnten", erklärte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte auf der Plattform X.
Heftige Kritik an Israels Vorgehen kam auch aus vielen arabischen Staaten. Es habe sich um "ein neues Massaker an dem wehrlosen palästinensischen Volk gehandelt", kritisierte etwa die Regierung Katars. Jordanien kündigte an, seinen Botschafter in Israel abzuberufen.
Baerbock: Hamas benutzt Menschen "als Schutzschilde"
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) betonte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. "Israel hat nicht nur ein Recht, sich selbst zu verteidigen, sondern wie jeder Staat auf der Welt die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen", sagte sie im ZDF auf eine Frage nach den Angriffen auf Dschabaliya. Die Hamas habe die Menschen in diesem Lager "ganz bewusst als menschliche Schutzschilde" benutzt.
Baerbock betonte, dies unterstreiche, "wie wahnsinnig komplex diese furchtbare Situation gerade ist". Israel habe als demokratischer Staat deutlich gemacht, "dass der Kampf nicht den unschuldigen Menschen in Gaza gilt". Die Hamas missbrauche dagegen die Palästinenser und habe "auf barbarische Art und Weise" Kleinkinder, Frauen, Männer und alte Menschen aus Israel verschleppt und misshandelt.