Präsidentenwahl in Montenegro Politische Wirren an der Adria
Montenegro wählt einen neuen Präsidenten. Kurz zuvor hat Amtsinhaber Milo Djukanovic noch das Parlament aufgelöst. Demnächst gibt es also auch vorgezogene Parlamentswahlen. Wie ist es dazu gekommen?
Seit August 2020 herrschen in Montenegro politisch instabile Verhältnisse - seit der letzten Parlamentswahl, bei der die Demokratische Partei der Sozialisten, DPS, unter Langzeit-Parteichef Djukanovic abgewählt wurde. Nach 30 Jahren an der Macht. Djukanovic war in dieser Zeit die prägende politische Figur des Landes mit nur rund 620.000 Einwohnern. Viermal war er Premierminister, seit 2018 ist er zum zweiten Mal Präsident.
Djukanovic hat Montenegro in die Unabhängigkeit geführt. Zuvor hatte das Land zusammen mit Serbien einen Staat gebildet. Nach der Unabhängigkeit wurde Montenegro unter Djukanovic Mitglied der NATO und EU-Kandidat. Lange galt die Republik an der Adria als pro-westliches Vorzeigeland des Westbalkans. Die weißen Kiesstrände und charmanten Altstädte führten zu einem Tourismus-Boom. Seit der Unabhängigkeit 2006 hat sich die Wirtschaftsleistung laut Weltbank mehr als verdoppelt.
EU-Beitrittsgespräche gerieten schnell ins Stocken
Doch schon unter Djukanovic gerieten die EU-Beitrittsgespräche ins Stocken. Der Grund ist vor allem der schleppende Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Djukanovics politische Gegner werfen ihm vor, in beides verwickelt zu sein. Fakt ist: Djukanovics Familie ist sehr wohlhabend. Die Namen von Milo Djukanovic und von seinem Sohn tauchten laut montenegrinischen Medien auch in den "Pandora Papers" auf.
Als Djukanovics Partei DPS bei der Parlamentswahl 2020 nur 40 von 81 Sitzen im Parlament erhielt, schmiedeten die restlichen Parteien eine Koalition. Sie wollten die DPS von der Macht verbannen. Die Koalition bestand hauptsächlich aus pro-serbischen Kräften.
Die wichtigste davon ist die Demokratische Front. Premierminister wurde der Universitätsprofessor Zdravko Krivokapic, der der serbisch-orthodoxen Kirche nahestand. Um jedoch pro-westliche Kleinparteien mit in das Bündnis zu holen, wurden die meisten Ministerposten mit Experten besetzt.
Mehrere Misstrauensvoten
Das Bündnis hielt nicht lang, die Parteien zerstritten sich, unter anderem wegen des Stillstands in den EU-Beitrittsverhandlungen. Eine Kleinpartei mit vier Sitzen, die URA unter dem damaligen Vize-Premier Dritan Abazovic, sowie Djukanovics DPS sprachen der Regierung im Februar 2022 das Misstrauen aus. Abazovic wurde Premier und ließ sich fortan von Djukanovics Partei tolerieren.
Auch diese Regierung hielt nicht. Ausgelöst durch einen Streit über die Stellung der serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro, wurde Abazovic im vergangenen August durch ein weiteres Misstrauensvotum gestürzt. Seitdem ist er nur übergangsweise im Amt.
Vorwurf des Verstoßes gegen die Verfassung
Nach dem Scheitern der Regierung hätte der Präsident, also Djukanovic, einen Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragen müssen. Djukanovic weigerte sich allerdings. Eine solche Situation hatte es noch nie gegeben und wird weder von der montenegrinischen Verfassung noch von anderen Gesetzen geregelt.
Djukanovics Gegner warfen ihm vor, mit seiner Blockade gegen die Verfassung zu verstoßen. Daraufhin änderte das Parlament das Gesetz über die Befugnisse des Präsidenten und zog die Kompetenz für die Vergabe des Regierungsauftrags an sich.
Djukanovic unterzeichnete das Gesetz entsprechend der politischen Gepflogenheiten, kündigte aber an, sich nicht daran gebunden zu fühlen. Er hält es für verfassungswidrig.
Parlamentsneuwahlen in Montenegro könnten zu neuen Mehrheitsverhältnissen und zu klareren Machtverhältnissen führen - und so helfen, die politische Krise zu lösen.
Juristischer Graubereich
Da aufgrund der politischen Blockade im Parlament über Monate nur drei von sieben Richterposten am Verfassungsgericht besetzt waren, konnte bis heute nicht geklärt werden, ob das neue Gesetz mit der Verfassung konform ist. Mittlerweile gibt es zwar wieder sechs Richter, aber noch sind keine Urteile gefallen.
In der Zwischenzeit ging das politische Hin und Her also im juristischen Graubereich weiter: Das Parlament beauftragte auf Basis der neuen umstrittenen Gesetzeslage den Ex-Diplomaten Miodrag Lekic mit der Regierungsbildung. Das war vor drei Monaten.
Komplizierte Lage
Lekic hat in dieser Zeit keine Parlamentsmehrheit für seinen Regierungsvorschlag hinter sich gebracht. Daher hat Präsident Milo Djukanovic am Donnerstagabend das Parlament aufgelöst. Die Lage ist also kompliziert.
Die Parlamentsneuwahlen könnten helfen, die politische Krise zu lösen. Auch Diplomaten der USA und der EU hatten zuletzt dazu geraten. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament könnten sich verschieben und zu klareren Machtverhältnissen führen. Unter anderem durch eine neue Bewegung, Europa Jetzt, die ethnische Konfliktlinien und den alten Machtkampf zwischen Djukanovic und pro-serbischen Kräften hinter sich lassen will.