Montenegro und die NATO Das ungeliebte Bündnis
Vor vier Jahren trat der Balkanstaat Montenegro der NATO bei - gegen den Widerstand Russlands. Heute ist die Unterstützung der Bevölkerung für NATO die niedrigste in allen Mitgliedsstaaten. Wie konnte es dazu kommen?
Geographisch und auf dem Papier verbindet Montenegro und die Ukraine wenig. Doch die Ereignisse am Schwarzen Meer strahlen seit Jahren auch auf den Balkan aus. Schon 2017, als Montenegro sich der NATO anschloss, wurde die Reaktion Russlands darauf wesentlich von der Entwicklung in der Ukraine bestimmt.
Mit Montenegro strebte die kleinste ehemalige Teilrepublik Jugoslawiens in die Allianz. Deren Einfluss in der Region war durch die Osterweiterung 2004 schon deutlich gewachsen. Und nun also Montenegro - während in Kiew die ukrainische Regierung unter dem Eindruck der Krim-Annexion durch Russlands frühere Pläne für eine NATO-Mitgliedschaft wieder belebte?
Für Russlands war beides eine Provokation. Das kleine Adrialand sollte auf keinen Fall dem Militärbündnis beitreten. Moskau fürchtete um seinen Einfluss auf der Balkanhalbinsel.
Gefühl der Bedrohung
Wie heute sah sich Russland bedroht. Der Beitritt Montenegros werde die Militaristen stärken, hieß es damals. Angeblich war Russland sogar in einen Putsch gegen den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Milo Djukanovic beteiligt. Wegen dieses mutmaßlichen Staatsstreichs zu den Wahlen 2016 wurden später 14 Personen verurteilt, unter ihnen zwei Vertreter der pro-russischen Parteien und auch zwei Mitglieder des russischen Geheimdienstes.
Doch die Beweise waren dünn. Auch Waffenkisten, die offenbar gefunden wurden, konnten vor Gericht nicht als Beweismittel vorgelegt werden.
Parallelen zur heutigen Krise
Mit Montenegros NATO-Beitritt hatten sich 2017 die westlich-orientierten Kräfte durchgesetzt, vor allem der Mann, der seit mehr als 30 Jahren maßgeblich die Geschicke des Lands bestimmt, der heutige Staatspräsident Djukanovic. Im Juni 2021 twitterte er: "Vierter Jahrestag der größten internationalen Errungenschaft des modernen montenegrinischen Staates - NATO- Mitgliedschaft".
Seine Gegner, und damit auch Gegner der NATO sind die pro-serbischen und pro-russischen Parteien, die heute die Regierung bilden. Die Parteien, die sich zur "Demokratischen Front" zusammengeschlossen haben, wollen am liebsten raus aus der NATO. Das hängt auch mit den Luftangriffen auf Montenegro in den Balkankriegen in den 1990er-Jahren zusammen. Und das erklärt auch die geringe Zustimmung der MontenegrinerInnen zur NATO.
Nur 50 Prozent finden das Bündnis gut. Etwa 30 Prozent würden es gerne verlassen. Die Zahlen sind seit Jahren stabil.
Geringste Zustimmung von allen NATO-Staaten
Milan Kneževic gehört zu den größten NATO-Gegnern. Der sozialistische Politiker wurde 2019 wegen des mutmaßlichen Staatsstreichs sogar in erster Instanz verurteilt. Er betont immer wieder, dass seine Partei gegen den NATO-Beitritt war, erkennt aber auch "die geopolitische Realität, die abgeschlossenen Verträge und die damit übernommenen Pflichten" an - sie machten einen "Austritt praktisch unmöglich".
Premier, Zdravko Krivokapic kann dagegen durchaus positive Aspekte in der Zugehörigkeit zum Militärbündnis erkennen. Zum Jahrestag des Beitritts 2021 sagte er: "Montenegro ist ein stabiles, verlässliches und engagiertes NATO-Mitglied, was seine politische Position stärkt und den Weg Montenegros Richtung EU einfacher macht."
Militärisch kaum bedeutend – geostrategisch schon
Mit seinen rund 2000 Soldaten und 600.000 Einwohnern ist Montenegro militärisch nicht wirklich bedeutend. Die Luftüberwachung wird von Italien und Griechenland sichergestellt. Im Land gibt es keine NATO-Militärbasen. Die NATO ist kein besonderer Wirtschaftsfaktor, und das Verbindungsbüro der Allianz ist im montenegrinischen Verteidigungsministerium untergebracht. Die jüngste Meldung über NATO-Aktivitäten, als einige Schiffe kurzzeitig im Hafen von Bar lagen, liegt schon länger zurück.
Geostrategisch jedoch ist Montenegro wichtig. Die geschützte Bucht von Kotor nutzte schon die jugoslawischen Marine. Mit Montenegro hat die NATO Zugriff auf die gesamte Adriaküste bekommen. Auch Slowenien, Kroatien und Albanien, das nach dem Weltkrieg sogar eine sowjetische Marinebasis war, gehören der Allianz an. 2020 wurde Nordmazedonien Mitglied. Bulgarien, Ungarn und Rumänien sind es schon länger. In Bosnien-Herzegowina sind NATO-Truppen stationiert. Der Balkan ist NATO-Gebiet.
Dennoch löste der frühere US-Präsident Donald Trump ausgerechnet wegen Montenegro mindestens Irritationen aus. Trump stellte 2018 die NATO generell in Frage und nannte Montenegro im Zusammenhang mit einem Dritten Weltkrieg. In einem Fernsehinterview sagte Trump. "Montenegro ist ein kleines Land mit sehr starken Menschen. Sie sind sehr aggressive Menschen, sie könnten aggressiv werden, und - Gratulation - man ist im Dritten Weltkrieg." Allerdings räumte auch Trump ein, dass man im Krisenfall US- Soldaten auch nach Montenegro schicken würde.
Die NATO wird also im Zweifelsfall auch für Montenegro den Bündnisfall ausrufen, selbst wenn die Bevölkerung der Allianz zu einem beträchtlichen Teil skeptisch gegenübersteht. Auch diese Erkenntnis dürfte über das Land hinauswirken und die Debatte um die Ukraine und die NATO beeinflussen.