Katalonien und die EU Separatismus soll nicht Schule machen
Das Beispiel Katalonien soll nicht Schule machen in Europa - das hoffen die EU-Spitzen in Brüssel. Denn neue EU-Staaten durch Abspaltung wollen wenige, schon allein, weil es das gesamte EU-Machtgefüge durcheinander bringen würde.
Selten erfahren einzelne Regionen eine so große Aufmerksamkeit in Brüssel wie gestern. Normalerweise interessiert die EU-Spitzen wenig, was im Europäischen Ausschuss der Regionen passiert - ein Gremium, das die EU-Kommission in regionalen Fragen beraten soll, aber nichts entscheiden darf.
Aber gestern hatte die Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter einen hohen Gast: EU-Ratspräsident Donald Tusk nutzte die Gelegenheit für einen letzten Apell an Katalonien: "Die Kraft der Argumente ist besser als das Argument der Gewalt." Mit diesen Worten versuchte Tusk eine katalanische Unabhängigkeitserklärung zu verhindern. Ob er zu dieser Zeit schon wusste, dass sie ausgesetzt werden soll, ist unklar. Schon am Nachmittag hatte es auch in Brüssel entsprechende Gerüchte gegeben.
Vielfalt, nicht Unabhängigkeit
Tusk sprach nicht von Unabhängigkeit, sondern von Vielfalt: "Vielfalt darf nicht zu Konflikten führen - am Ende ist das schlecht für Katalonien, für Spanien und für ganz Europa."
Aber auch jetzt ist der Konflikt nicht ausgestanden - weder für Spanien noch für die EU. In der Katalonien-Frage droht eine Hängepartie und ein Machtvakuum zwischen Barcelona, Madrid und Brüssel. Die Folgen sind auf lange Sicht unabsehbar - auch für den scheidenden Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er befürchtet politische Unsicherheit, die sich auch auf den Euro-Raum auswirken könnte: "Wir wünschen Katalonien das Allerbeste", erklärte Schäuble gestern am Rande eines EU-Finanzministertreffens, "aber wir glauben, die Lösung liegt innerhalb der spanischen Verfassung. Und außerhalb der spanischen Verfassung ist keine gute Lösung."
Diskussion über Ursachen
Die Furcht, dass der Separatismus der Katalanen Schule macht in Europa, ist seit gestern Abend nicht geringer geworden. Mehr als über die Folgen wird über die tieferen Ursachen dieser Entwicklung diskutiert: "Deshalb werbe ich dafür, dass wir Große und Kleine gleich behandeln in Europa", sagte Schäuble.
Die EU-Spitzen sehen sich in einer heiklen Lage: Sie wollen mehr auf die Kleinen zugehen - aber das ist schwierig und rechtlich ein unsicheres Terrain. Denn es handelt sich um Regionen und nicht um Mitgliedstaaten, erklärt der Südtiroler EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann von der Südtiroler Volkspartei. Schwierig zumal dann, wenn eine Region sich gegen die Verfassung eines EU-Mitgliedslandes stellt: "Aber ich denke, das Ganze hat auch gezeigt, wie wichtig Minderheitenschutz in Europa ist, und wie wichtig es ist, endlich darüber nachzudenken, welche Rolle die Regionen in der EU spielen sollen. Wie man ihnen möglichst autonome Zuständigkeiten geben kann".
Dominoeffekt in Europa?
Dass Katalonien einen Dominoeffekt in Europa auslöst, glaubt Dorfmann aber nicht. Weder in seiner Heimat, noch in der Lombardei oder in Venetien. Zwar sind auch in diesen italienischen Regionen Volksabstimmungen geplant, aber die Unabhängigkeit steht nicht zur Debatte. Es geht eher um den Zugriff auf die regionalen Steueraufkommen. Und Korsika, ein Teil Frankreichs, will gerne die eigene Sprache zur Amtssprache machen.
Auch in Belgien wird es wohl ruhig bleiben. Für den flämischen Regionalpolitiker Jan Peumans ist das Beispiel Katalonien eher abschreckend: "Die Forderungen nach Selbständigkeit sind keine derartigen Regierungskrisen wert. Bei uns würde auch nicht eine Million Menschen dafür auf die Straße gehen."
Als einziger Riskofaktor gilt Schottland. Vor drei Jahren stimmten die Schotten darüber ab, ob sie von Großbritannien unabhängig sein wollen. Eine knappe Mehrheit war dagegen. Aber die EU-freundliche schottische Regionalregierung denkt an ein zweites Referendum, wenn klar ist, wie sich der Brexit auswirkt.
Suche nach europäischen Antworten
Separatismus ist ein Thema in Brüssel. Für den Präsidenten des EU-Ausschusses der Regionen, Karl-Heinz Lambertz aus dem deutschsprachigen Ostbelgien aber eine relativ neue Entwicklung, auf die europäische Antworten erst noch gefunden werden müssen: "So etwas wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen. Dann hätten wir uns als EU-Ausschuss der Regionen in einem totalen Tabu-Thema bewegt. Das hat sich geändert".
Für Lambertz steht fest: Die Neugründung von Staaten innerhalb der EU kann nicht die Lösung sein. Aber der Drang nach mehr Autonomie wird größer - überall in Europa: "Weil regionale Identitäten stärker werden, weil die Menschen sich wieder stärker mit ihrer Heimat identifizieren, was auch eine Folge von Globalisierungsängsten ist. Da muss man das Gleichgewicht finden und das Richtige auf der jeweils relevanten Ebene tun."
Um Separatismus zu vermeiden, müssten beim Bürger gute und richtige Entscheidungen ankommen: "Die Bürger werden - wenn sie unzufrieden sind - sich weniger an die EU-Politiker in Brüssel halten, sondern mehr an ihre Bürgermeister und Regionalminister."
Auch wenn Brüssel den Separatismus fürchtet - wie "gut" Politik in den Regionen gemacht wird, dürfte auf EU-Ebene bald eine größere Rolle spielen.