EU, Brexit, Iran Boris' Baustellen
Seine markigen Töne zum Brexit haben Johnson die Wahl zum Tory-Chef geebnet. Aber wird er seine Versprechen einlösen können? Kann er die EU überzeugen? Und welche Krisen sind sonst zu lösen? Einige Antworten, einige Fragezeichen.
Wie geht es mit dem Brexit weiter?
Boris Johnson fordert Nachverhandlungen mit Brüssel über den EU-Austritt und setzt auf Änderungen am 585 Seiten starken Brexit-Vertrag. Dieser sei ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Erreicht er keine Änderungen, will er am 31. Oktober auch ohne Austrittsvertrag aus der EU austreten.
Der ungeregelte Austritt ist somit eine Möglichkeit. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass es kein anderes als das mit Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen geben wird. Vor allem für die Wirtschaft könnte das wegen der möglichen Wiedereinführung von Zöllen und Grenzkontrollen unangenehme Konsequenzen haben.
Fürchtet die EU die neue Regierung?
Es gibt in Brüssel zumindest diejenigen, die große Sorgen haben, dass Johnson sein Land ohne Rücksicht auf Verluste aus der EU führen wird.
Es gibt auch solche, die hoffen, dass die Amtszeit des 55-Jährigen ein weiterer Schritt in Richtung eines britischen Verbleibs in der EU sein könnte. Nach ihrem Szenario wird auch Johnson am Widerstand des Parlaments scheitern und politisch Schiffbruch erleiden. Am Ende blieben dann nur Neuwahlen und womöglich ein zweites Referendum.
Welche Rolle spielt die künftige EU-Kommissionspräsidentin?
Definitiv eine große. Wenn das Brexit-Datum erneut verschoben wird, wird Ursula von der Leyen nach ihrem Amtsantritt am 1. November eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen über den Brexit spielen. Wenn nicht, wird sie dafür verantwortlich sein, dass mit Großbritannien ein Vertrag über die künftigen Beziehungen ausgehandelt wird.
Von der Leyen hofft auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Auf die Frage, ob sie lieber mit Jeremy Hunt oder Boris Johnson zusammenarbeiten würde, hatte Ursula von der Leyen ausweichend geantwortet. "Ich werde sehr konstruktiv mit jedem Staats- und Regierungschef zusammenarbeiten", sagte von der Leyen nur. Dies sei für sie eine "goldene Regel".
Wie reagieren Wirtschaftsverbände?
Britische Verbände haben den designierten Premierminister Johnson zu einem geordneten Brexit aufgerufen. Er dürfe in seinen ersten 100 Tagen im Amt keine Zeit verlieren und solle die Vorteile eines guten Austrittsabkommens mit der EU nicht unterschätzen, mahnte die Generaldirektorin vom britischen Industrieverband CBI, Carolyn Fairbairn. Unternehmen bräuchten "einen Brexit-Deal, der Vertrauen freisetzt". Auch die britische Industrie- und Handelskammer verlangte von Johnson, bis zur Brexit-Frist an Halloween einen "chaotischen, ungeordneten Brexit" zu verhindern.
In Deutschland betonte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Industrie, die Drohungen aus London, ungeordnet aus der EU auszuscheiden, müssten aufhören. Sie seien schädlich und kämen wie ein Bumerang zurück. Die Unternehmen wollten durchsetzbare Entscheidungen von Johnsons neuer Regierung sehen. Das mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen dürfe nicht nachverhandelt werden - es stehe für so wenig Reibungen wie möglich beim Handel und in anderen Angelegenheiten.
Welche anderen Krisen warten auf Johnson?
Auch die iranische Regierung übermittelte Johnson ihre Glückwünsche zum baldigen Einzug in die Downing Street. Außenminister Mohammed Dschawad Sarif schrieb bei Twitter: "Ich gratuliere meinem früheren Gegenüber Boris Johnson, dass er Premierminister des Vereinigten Königreiches geworden ist." Johnson war von Juli 2016 bis Juli 2018 britischer Außenminister.
Die Lage zwischen beiden Staaten ist extrem angespannt, seit die britische Regierung einen iranischen Tanker in Gibraltar festsetzen ließ. Dies kritisierte der iranische Minister erneut. "Die Beschlagnahme von iranischem Öl durch die May-Regierung auf Geheiß der USA ist Piraterie, ganz einfach", erklärte er. Der Iran wolle keine Konfrontation, verfüge am Persischen Golf aber über 1500 Meilen Küste. "Das sind unsere Gewässer und wir werden sie schützen", so Sarif.
Erst gestern hatte der noch amtierende Außenminister und Johnson-Konkurrent Jeremy Hunt eine europäische Schutzmission für die Schifffahrt im Persischen Golf angekündigt. Details wollte oder konnte er noch nicht nennen. Auch hier wartet also viel Arbeit auf Johnson.
Wie geht es mit dem Kabinett weiter?
Die bisherige britische Regierung war fein austariert zwischen den Brexit-Lagern - sie wird wohl unter der Führung Johnsons zerbrechen. Am Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke ihre Rücktritte angekündigt, sollte Johnson Regierungschef werden. Auch Alan Duncan, Staatssekretär im Außenministerium, will nicht weitermachen. Alles, was Johnson mache, sei "planlos und zusammengezimmert", sagte er der BBC.
Und Rivale Hunt? Nach seiner Niederlage gratulierte der britische Außenminister. "Sie werden in diesem kritischen Augenblick ein großartiger Premierminister für unser Land sein!", schrieb Hunt auf Twitter. Johnson habe während des Wahlkampfes "Optimismus, Energie und grenzenloses Vertrauen in unser wundervolles Land" gezeigt. Eine Rücktrittsankündigung liest sich anders.
Und wie geht es im Parlament weiter?
Bereits vor der Wahl Johnsons sorgte das Parlament dafür, dass der neue Premierminister es nicht umgehen kann. Hintergrund ist die sogenannte Prorogation - die Vertagung. Nach der üblicherweise einjährigen Sitzungsperiode wird das Parlament für eine bis mehrere Wochen geschlossen. Weil Abgeordnete befürchteten, dass Johnson die Parlamentspause um den geplanten EU-Austritt Ende Oktober legen könnte, wandten sie einen Verfahrenstrick an.
Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für einen Gesetzeszusatz, der Nordirland-Berichte im 14-Tages-Rhythmus verlangt.
Im britischen Parlament sind die Verhältnisse äußerst knapp. Die konservativen Tories haben nur zusammen mit der nordirischen DUP eine knappe Mehrheit von drei Stimmen. Abweichler könnten Gesetzesvorhaben blockieren oder die Regierung zu Fall bringen.
Das Parlament in London steht zwar nicht Kopf - aber eben auch nicht geschlossen hinter Johnson.