Justizreform in Israel Spielt Netanyahu bloß auf Zeit?
Israels Premier Netanyahu hat die umstrittene Justizreform seiner Regierung vorerst gestoppt. Doch das Vorhaben ist damit nicht vom Tisch. Und nicht nur die Opposition traut der Ankündigung wenig.
Benjamin Netanyahu nimmt das Tempo raus. Auf diese Nachricht hatten viele in Israel gewartet. Wieder waren den ganzen Tag und Abend über Zehntausende auf den Straßen, um gegen die umstrittene Justizreform zu protestieren.
Die Proteste hatten sich noch einmal verschärft, weil Netanyahu tags zuvor den Verteidigungsminister gefeuert hatte, der einen Stopp der Reform gefordert hatte. Außerdem hatte die Regierungskoalition eigentlich geplant, in dieser Woche vor der Parlamentspause entscheidende Teile der Reform durchs Plenum zu bringen. Erst am Abend gab Netanyahu seine Erklärung ab.
"Wenn die Möglichkeit besteht, einen Bürgerkrieg durch einen Dialog zu verhindern, nehme ich als Premierminister die Auszeit für einen Dialog", so Netanyahu.
Gleichzeitig machte er aber deutlich: "Wir bestehen auf der Notwendigkeit, Korrekturen am Rechtssystem vorzunehmen und werden die Gelegenheit geben, diese in einem breiten Einvernehmen zu erreichen. Und aus dieser nationalen Verantwortung heraus habe ich entschieden, die zweite und dritte Lesung des Gesetzespakets in dieser Sitzungsperiode auszusetzen."
Opposition reagiert frostig
Damit ist noch nicht gesagt, ob es auch inhaltliche Zugeständnisse geben wird - oder ob Netanyahu nur auf Zeit spielt. Er kündigte an, das Gespräch mit der Opposition suchen zu wollen, um mehr Akzeptanz für die Reform zu erreichen. Doch Ankündigungen dieser Art hat es in der Vergangenheit schon öfter gegeben. Justizminister Levin wird in israelischen Medien mit den Worten zitiert: "Wir müssen smart sein - wir bringen die Reform später durch."
Entsprechend frostig reagierte Oppositionsführer Yair Lapid:
Wenn Netanyahu versucht, uns auszutricksen, wird er wieder viele patriotische Israelis vorfinden, die entschieden für unsere Demokratie kämpfen werden. Andererseits: Wenn die Regierung zu einem wirklichen und fairen Dialog bereit ist, können wir aus diesem Tiefpunkt gestärkt und vereint herausgehen und das zu einem bedeutenden Moment in unserem gemeinsamen Leben machen. Das ist die größte Krise in der Geschichte Israels. Wir sind verpflichtet, sie gemeinsam zu lösen, damit wir hier gemeinsam leben können.
Rechtsextremer Minister Ben Gvir droht mit Rücktritt
Erstmals in den 13 langen Wochen des Protests hatte die Regierung auch Anhänger der Reform zu Tausenden auf die Straßen gebracht. In Jerusalem trat unter anderem Itamar Ben Gvir auf, der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit. Er hatte Benjamin Netanyahu mit Rücktritt gedroht. Auch weil noch weitere Verhandlungen mit ihm nötig waren, ließ Netanyahus Erklärung auf sich warten.
Bei der Sitzung der Koalitionsspitzen hatte ich beschlossen, die Koalition zu verlassen, denn ich war und bin der Meinung, dass heute über die Reform abgestimmt werden sollte. Wir dürfen nicht vor den Anarchisten kapitulieren. Dann wurde mir klar: Ich schenke ihnen den Sieg, wenn ich aus der Koalition austrete. Aber sie werden nicht gewinnen! Sie werden nicht gewinnen! Wir werden in der Koalition bleiben und die Reform einfordern.
Ben Gvir darf sich als einer der Gewinner fühlen. Denn noch ist es möglich, dass die Justizreform wie geplant beschlossen wird. Und für seine Zustimmung zum Aufschub bekommt Ben Gvir viel Geld für den Aufbau einer Nationalgarde unter seiner Führung. Er hatte in den letzten Wochen ein härteres Vorgehen gegen Demonstranten angemahnt und ist auch für eine harte Linie gegenüber Palästinensern in den besetzten Gebieten.
Weitere Schritte unklar
Ob die Massenproteste nun an Schwung verlieren, ist noch nicht absehbar und wird von den nächsten Schritten abhängen. Noch am Abend hatte Staatspräsident Izchak Herzog darüber unter anderem mit Benjamin Netanyahu und Yair Lapid beraten.
Später am Abend war es zu Straßenblockaden und einzelnen Ausschreitungen zwischen Protestierenden und der Polizei gekommen. Die Organisatoren der Reformgegner hatten zuvor angekündigt, weiter auf die Straße zu gehen - bis der Gesetzgebungsprozess zu den Akten gelegt wird.