Parlamentswahl in Island Machtwechsel könnte EU-Beitritt in Frage stellen
Bei den Wahlen in Island zeichnet sich ein Sieg der bürgerlichen Opposition ab. Mit einem Machtwechsel rückt der EU-Beitritt in die Ferne. Der Chef der Fortschrittspartei, Gunnlaugsson, will erstmal die Krise im Land in den Griff bekommen. Er setzt sich für eine Volksabstimmung zum EU-Beitritt ein.
Tim Krohn, ARD-Hörfunkstudio Stockholm
320.000 Einwohner, 31 aktive Vulkane und knapp 20 Parteien, davon gleich elf, die zum ersten Mal antreten. Die Demokratie auf Island scheint gut zu funktionieren. Kein Wunder, das Althing gilt als das älteste Parlament der Welt.
Allerdings dürfte der Wahlverlierer schon feststehen, obwohl offizielle Hochrechnungen noch nicht vorliegen. Die bisher regierenden Sozialdemokraten könnten mehr als die Hälfte ihrer Stimmen verlieren. Spitzenkandidat Arni Páll Arnason ahnt schon, was heute auf ihn zukommen wird. "Unsere Aufgabe war sehr schwer in den vergangenen Jahren. Aber wir waren sehr erfolgreich. Das Beste wäre, wenn wir in die Europäische Union gingen und den Euro bekämen."
Mehrheit gegen den EU-Beitritt
Konstante 60 bis 70 Prozent aller Isländer sind da anderer Meinung. Vor vier Jahren, als die rot-grüne Regierung an die Macht gekommen war und sogar von einer Zeitenwende auf Island sprach, sah das noch anders aus. Drei große Banken waren pleite, die Insel stand vor dem Staatsbankrott. Die Aktienkurse der großen Unternehmen rauschten in den Keller, die eigene Währung verfiel, der Euro schien die einzige Rettung. Der Schuldenstand eines ganz normalen Fischers in Reykjavik hatte sich von jetzt auf gleich mal eben verdoppelt. Aber Island hat sich berappelt, zumindest fast.
Die Politologin Stefanía Oskarsdóttir erklärt: "Die Krise ist ja nicht vorüber. Die Leute haben das Gefühl, dass es nicht schnell genug geht. Es gibt halt immer noch Arbeitslosigkeit, obwohl die Zahlen schon von zehn auf fünf Prozent gefallen sind." Sie spricht von der Ungeduld der Wähler: "Die meisten politischen Parteien sprechen so, als ob die Krise vorbei sei und jetzt der Aufbau beginnen könnte. Die Frage sei im Prinzip nur noch, wer was wann bekommt. Und jetzt warten die Leute nur. Deswegen kann die Enttäuschung am Ende groß sein."
Gunnlaugsson für Volksabstimmung über EU-Beitritt
Er will es besser machen: der erst 38-jährige Newcomer Sígmundur David Gunnlaugsson. Er hat die rechts-liberale Fortschrittspartei personell komplett erneuert und ging heute als Favorit in die Wahlkabine. "Was mich besonders freut, ist, dass ich den Eindruck habe, dass die Gesellschaft sich in Richtung Mitte bewegt." Mehr als jede vierte Stimme dürfte auf ihn fallen. Ein anderes gutes Viertel wird wohl die konservative Unabhängigkeitspartei bekommen. Beide wollen koalieren. Und niemand in Reykjavik hat ernsthafte Zweifel, dass das klappen wird.
Für die EU-Träume von einst sind das eher schlechte Nachrichten. Die Beitrittspapiere kommen zurück in die Schublade. "Ja, wir halten es für sinnvoll, weiter abzuwarten und die EU zu beobachten. Es muss doch erst mal viel getan werden, um Island wieder fit zu machen. Falls man zum Beispiel unsere Währung ändern möchte, dann müssen wir doch erst mal die Staatsfinanzen und die Inflation unter Kontrolle bekommen. All das wird ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen", so Gunnlaugsson. "Dann und erst dann können wir über die nächsten Schritte entscheiden. Wir sind vor allem der Meinung, dass es eine Volksabstimmung geben muss, ehe wir weitere Verhandlungen führen."
Island, sagt der Schriftsteller Hállgrimur Helgason, habe bis vor fünf Jahren in Luftschlössern gelebt, bis alles zusammenbrach. Nach der ersten Hilfe kehre man jetzt so langsam zu seinen Wurzeln zurück. Auch im Althing, dem ältesten Parlament der Welt.