Lettland bekommt den Euro Kein leichter Abschied vom Lats
Für die EU-Staats- und Regierungschefs ist die Sache klar: Lettland soll den Euro bekommen. Eine Zustimmung der Finanzminister ist nur noch Formsache. In Lettland selbst sehen viele Menschen den Abschied vom Lats mit Wehmut.
Alma kommt mit der Straßenbahn. Vier große geflochtene Körbe hat sie dabei, randvoll gefüllt mit Heidelbeeren. Alma verkauft ihre Beeren auf dem Zentralmarkt in Riga. Ohne die, sagt die 75-jährige, käme sie kaum über die Runden. "Das Geld liegt im Wald. Man muss es bloß einsammeln. Man muss ein bisschen den Rücken krumm machen und etwas arbeiten. Obwohl ein bisschen reicht nicht. Der Weg hierher ist teuer, für den Marktstand muss man zahlen. Wenn man hier etwas verdienen will, dann muss man mindestens zwei Körbe voll sammeln."
Jeden Morgen um 04.00 Uhr geht Alma in den Wald und pflückt jede Heidelbeere einzeln, bis die Körbe voll sind. Klaudija, ihre 70-jährige Nachbarin hilft ihr dabei. Auch sie ist heute auf dem Markt, verkauft Sanddorn und Erdbeeren. "Bei uns in Liwani gibt es ja keine Arbeit. Alle Betriebe sind dicht. Da muss man sich um sich selber kümmern. Das, was ich jetzt verdiene, davon werde ich im Winter leben", sagt Klaudija.
Wird es mit dem Euro besser?
Die beiden alten Frauen haben schon mit Rubel und Lats bezahlt. Und nie hat es gereicht. Jetzt gibt es schon wieder neues Geld. Aber warum sollte es mit dem Euro nun besser werden?
Sandra Kalniete kennt solche Fragen. Die Buchautorin, frühere lettische Außenministerin und EU-Kommissarin sitzt für die Konservativen im Europaparlament. Und auch sie findet es schwer, auf den Lats zu verzichten."Das ist keine leichte Entscheidung. Der Lats hat für Lettland eine ähnliche Bedeutung wie die D-Mark für Deutschland. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg doch das Symbol für den Aufschwung. Und der Lats ist für uns das Symbol für die Unabhängigkeit." Klingt ein bisschen nach "Augen zu und durch." Lettland will eben mit allen Konsequenzen zu Europa gehören.
"Wir müssen vorsichtig sein"
"All die Schritte, die wir hinter uns haben, waren immer pragmatisch und ganz genau begründet. Natürlich müssen wir jetzt vorsichtig sein, weil ich denke, dass sich der Euro dringend stabilisieren muss. Aber Lettlands Politiker wissen ganz genau, dass wir den Euro brauchen. Lettlands Währung ist klein und unsere Wirtschaft sehr offen", sagt Kalniete weiter.
Die Letten seien angekommen, sagt Kalniete. Und die deutsch-baltische Handelskammer sieht es ähnlich. Die Konjunkturdaten ziehen an, der "BaltischeTiger" der 2000er-Jahre bekommt neue Zähne.
Vor vier Jahren noch am Abgrund
Es ist gerade mal vier Jahre her, da stand Lettland noch vor der Wahl: Pleite gehen und Bankrott anmelden oder Kredite aufnehmen und grausam sein! Lettland entschied sich für die knüppelharte Rosskur. Kalniete erklärt: "Es gibt so ein Sprichwort bei uns: Man sollte nicht zu viel und nicht zu heiß davon essen. Wir laufen nicht mit geballten Fäusten durch die Straßen und verdammen gleich die ganze Welt. Die Letten haben einfach die Zähne zusammengebissen und sind sehr geduldig durch diese Krise gegangen. Mit wirklich großen menschlichen Opfern."
Jeder fünfte Einwohner verlor zwischenzeitlich seinen Job, jeder zehnte ging dauerhaft ins Ausland. Die, die geblieben sind, verdienen heute durchschnittlich um die 700 Euro im Monat, mehr nicht.
Alma packt ihre Körbe ein und fährt zurück nach Liwani. Die Straßenbahn in Riga fährt an leeren Büroräumen vorbei. Der Internationale Währungsfonds ist hier ausgezogen. Die Arbeit in Riga ist erledigt.