Großbritannien und die EU Die Wirtschaft zittert vor "Brexit"
Mit bangem Blick schauen viele britische Unternehmen auf die Wahl. Was ist, wenn die Konservativen gewinnen - und es dann 2017 tatsächlich zum von Premierminister David Cameron versprochenen EU-Referendum kommt? Für die Wirtschaft ein Schreckenszenario.
Der knappe Ausgang des Referendums über die schottische Unabhängigkeit ist den britischen Unternehmern eine Lehre gewesen: Erst in letzter Minute vor der Abstimmung hatten sie sich ins Zeug gelegt für den Erhalt des Vereinigten Königreichs. Diesmal ist die Wirtschaft früher aufgewacht. John Holland-Kaye etwa, Chef des Londoner Flughafens Heathrow, wirbt: Firmen und Verbraucher sollten nicht vergessen, dass die britische EU-Mitgliedschaft viele Vorteile biete.
Der Industrieverband CBI hat kalkuliert, dass jährlich vier bis fünf Prozent der britischen Wirtschaftsleistung allein auf die Mitgliedschaft in der EU zurückzuführen sind. Dies entspreche einem finanziellen Nutzen von fast 4000 Euro für jeden Haushalt jedes Jahr, rechnet CBI-Direktor Jonathan Cridland vor. "Auch Großbritanniens kleine und mittelständische Firmen profitieren direkt vom Binnenmarkt mit 27 anderen Staaten. Und zugleich ist es für sie wichtig, dass die EU als Ganzes weltweit Freihandelsabkommen aushandelt."
"Brexit"? Das wird teuer
Ein "Brexit" wäre vor allem für das Land selbst schädlich: Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung und des ifo-Instituts. Würde Großbritannien 2018 aus der EU ausscheiden, dann könnte - im schlechtesten Fall - das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2030 um bis zu 14 Prozent niedriger ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.
Dieses Szenario treibt auch Klaus-Peter Fouquet um. Er sitzt der deutsch-britischen Handelskammer vor, die rund 800 Mitgliedsbetriebe vertritt. "Insbesondere für diese Unternehmen ist die Diskussion um die EU-Mitgliedschaft eine Eintrübung ihrer Geschäftserwartungen. Ich erwarte, dass auch bestimmte Investitionsentscheidungen daran festgemacht werden."
Neuverhandlungen statt Austritt
Im Hauptberuf leitet Fouquet die britische Tochter des Bosch-Konzerns, die auf der Insel unter anderem Rasenmäher für den europäischen Markt produziert. Mehr als die Hälfte aller britischen Exporte geht in die EU-Staaten, und rund die Hälfte aller Importe kommt aus der EU. Im Fall eines Ausstiegs würden die Ausfuhren sinken und die Einfuhren sich verteuern. Trotzdem sagt Matthew Elliott vom Brüssel-kritischen Verband "Business for Britain", es sei ein Mythos, dass die Wirtschaft gegen ein EU-Referendum ist. Die Firmen seien dafür, die britischen Beziehungen zur EU neu zu verhandeln, so Elliott.
Was aber schon ein drohendes Referendum bewirken kann, zeigt die Ankündigung der Großbank HSBC: Sie prüft, aus London wegzuziehen, auch wegen der Ungewissheit über die künftige EU-Mitgliedschaft. Die HSBC sei davon überzeugt, dass die Reformierung der EU von innen heraus "weit weniger riskant ist, als ein Alleingang", sagte der Verwaltungsratsvorsitzende Douglas Flint.
Das mit einem Volksentscheid verbundene Risiko würde aber nicht nur große Konzerne treffen, sondern auch Mittelständler wie MIRA. Die Firma aus der Nähe von Birmingham testet für Autohersteller aus aller Welt neue Technologien. Ihr Chef, George Gillespie, spürt bereits jetzt die Unsicherheit: "Auch wenn noch gar nicht klar ist, ob es zu einem Referendum kommt: Wenn ich heute etwa in China unterwegs bin, dann muss ich erklären: Nein, Großbritannien verlässt die EU nicht. Denn allein die Diskussion darüber sorgt für die Wahrnehmung, dass wir uns von der EU entfernen."
Sollten die Briten tatsächlich 2017 abstimmen "in or out", dann wird es zu einer Mammut-Aufgabe, das Land in der EU zu halten - auch für die Wirtschaft.