Gemüse in Großbritannien Lieferengpässe könnten länger andauern
Die Lieferschwierigkeiten bei einigen Gemüsesorten in Großbritannien soll laut Regierung in wenigen Wochen behoben sein. Doch Experten bewerten die Lage ernster. Der deutsche Bauernpräsident macht für die Situation vor allem den Brexit verantwortlich.
Anders als die Regierung warnen britische Gemüse- und Obstproduzenten angesichts von Lieferproblemen bei einigen Lebensmitteln vor einer länger andauernden Situation. "Tomaten, Paprika und Auberginen werden erst im Mai in großen Mengen erhältlich sein - also wird es länger als ein paar Wochen dauern", sagte Lee Stiles vom Erzeugerverband Lea Valley Growers Association (LVGA) der BBC zufolge. Die konservative Landwirtschaftsministerin Therese Coffey hatte am Donnerstag angekündigt, die Engpässe könnten in zwei bis vier Wochen überwunden werden.
Großbritannien importiert im Winter rund 95 Prozent der Tomaten. Doch die LVGA erhält nach eigenen Angaben nur ein Viertel der Produkte, die in Spanien oder Marokko bestellt wurden. Grund ist demnach vor allem extrem schlechtes Wetter in den Anbaugebieten. Hinzu kommen gestiegene Transportkosten angesichts hoher Energiepreise. Deshalb würden Produzenten lieber in näher gelegene Märkte liefern, so die LVGA weiter. Es sei zu spät für britische Produzenten, um den Mangel auszugleichen. Dafür hätten sie früher anpflanzen müssen, so Stiles.
"Lasst sie Rüben essen"
Mehrere Einzelhändler - so auch Marktführer Tesco - haben wegen der Lieferschwierigkeiten den Verkauf einiger Produkte wie Tomaten oder Gurken rationiert. Anstatt Tomaten und Salat sollten die Briten die heimischen Spezialitäten wertschätzen, forderte infolgedessen Ministerin Coffey und sagte: "Viele Leute essen derzeit Rüben."
"Lasst sie Rüben essen", titelte daraufhin die Zeitung "Daily Mirror" - in Anlehnung an ein Zitat, das der französischen Königin Marie Antoinette in den Mund gelegt wird: "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen".
Das Wetter, das die Regierung für die Engpässe verantwortlich macht, sei in der Tat ein Faktor, betonte der Lebensmittelexperte Ged Futter - aber eben nur ein Grund von vielen. Futter verwies auf Deutschland: Dort gebe es keine Engpässe, wie auch deutsche Einzelhändler jüngst in einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa bestätigten.
Mutmaßliche Fehlplanung
Branchenkenner werfen der britischen Regierung eine verfehlte Politik vor. So habe sie die Gemüseproduzenten trotz steigender Strom- und Gaspreise nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine von Energiesubventionen ausgeschlossen. Der Einsatz von Gewächshäusern - zur Zucht etwa von Tomaten - lohne sich deshalb im Winter nicht mehr. "Sie pflanzen hier nicht mehr so viele Sachen an, weil es unwirtschaftlich ist", sagte Adam Leyland, Chefredakteur des Branchenblatts "The Grocer", der BBC.
Und auch wenn etwa Greg Hands - deutschsprachiger Generalsekretär der konservativen Partei - kürzlich betonte, dass die Lebensmittelpreise in der Eurozone noch stärker gestiegen seien und die Engpässe nichts mit dem Brexit zu tun hätten: Experten sind anderer Ansicht. So fehlen britischen Produzenten die Saisonkräfte, die sonst aus EU-Ländern wie Rumänien zum Pflücken einreisten. Grund sind verschärfte Regeln für Arbeitskräfte nach dem EU-Austritt.
Bauernpräsident warnt vor Abhängigkeiten
Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, sieht den Brexit als Hauptursache für die Probleme in Großbritannien. Der "Rheinischen Post" sagte er, dass er in Deutschland nicht mit einen ähnlichen Gemüsemangel rechne: "Die Meldungen von der Insel beweisen den großen Vorteil des EU-Binnenmarktes für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland."
Für Joachim Rukwied, Landwirt und Agrarfunktionär, liegt die aktuelle Situation auch an den Folgen des EU-Austritts.
Zwar sei Deutschland - ähnlich wie Großbritannien - ein massiver Importeur bei Gemüse und Obst, vor allem aus Südeuropa. Doch: "Dabei macht der Brexit den Unterschied." Die bürokratischen und zeitaufwändigen Zollformalitäten schreckten viele Händler ab, so Rukwied - die knappe Ware bleibe auf dem Kontinent.
Zugleich warnte Rukwied, die deutsche Erzeugung von Obst und Gemüse sei "akut bedroht" - vor allem durch den Mindestlohn von zwölf Euro und nationale Einschränkungen bei Pflanzenschutz und Düngung. Das mache es den Bauern noch schwerer, wettbewerbsfähig zu bleiben. "Die Gefahr, dass noch mehr Lebensmittel aus dem Ausland kommen, ist groß" , sagte er der Zeitung.