EU-Türkei-Deal Scheitern verboten
50.000 Flüchtlinge stecken in Griechenland fest. Die versprochenen Asylentscheider aus anderen EU-Ländern kommen frühestens in einer Woche nach Griechenland. Und auch sonst hakt noch viel beim EU-Türkei-Flüchtlingspakt. Die EU verbreitet dennoch Optimismus.
Wenn jetzt der Eindruck aufkommt, der nur äußerst mühselig und von viel Kritik begleitete Flüchtlingspakt mit der Türkei könnte an seiner Umsetzung scheitern, wäre das für die EU äußerst peinlich. Daher tut die Kommission in Brüssel alles, um dem entgegenzuwirken.
Zum Beispiel nahm sie sich jetzt die Zeit, sämtliche 20 Länder auf einer Liste vorzulesen, die bereits zugesagt hätten, dringend benötigte Beamte nach Griechenland zu schicken: "Belgien, Tschechien, Dänemark, Deutschland ...", alle 20 nennt der Kommissions-Chefsprecher Margaritis Schinas namentlich, die helfen wollen. Insgesamt 4000 Beamte - Asylexperten, Polizisten, Dolmetscher - werden auf den griechischen Inseln benötigt. Deutschland und Frankreich hatten bereits jeweils 300 Personen in Aussicht gestellt, wie Brüssel jetzt noch einmal bestätigte.
Asylverfahren im Eiltempo
Laut Kommissions-Zeitplan sollen in genau einer Woche erste Verstärkungskräfte in Griechenland eintreffen. Bislang jedenfalls ist Athen hoffnungslos damit überfordert, die Beschlüsse des Türkei-Tauschgeschäfts umzusetzen. Jeder ankommende Flüchtling muss nicht nur registriert werden. Er muss auch ein Asyl-Verfahren bekommen, wenn er dies beantragt. Bislang betrug die Wartezeit dafür nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" auf der Insel Lesbos drei Monate. Nun sollen die Verfahren im Eiltempo begonnen und durchgepeitscht werden.
Menschenrechtler kritisieren die Eilverfahren, die auch eine bürokratische Herausforderung sind. "Man muss darauf hinweisen, dass die Europäische Union vor einer Herkulesaufgabe steht, vor allem Griechenland", gab Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu. "Dies ist die größte logistische Herausforderung, mit der die EU sich je konfrontiert sah."
Viele Fragen des umstrittenen Flüchtlingsdeals bleiben aber weiter offen, vor allem Rechtliches: Bislang hat die Regierung in Athen die Türkei offiziell noch gar nicht als sogenanntes sicheres Drittland anerkannt - darauf aber baut das Abkommen entscheidend auf: Denn auf diese Weise rechtfertigt die EU das Vorhaben, fast alle Flüchtlinge, und zwar auch Syrer, in die Türkei zurückzuschicken: "Wir erwarten von Griechenland, die entsprechenden Gesetze diese Woche auf den Weg zu bringen", stellte EU-Sprecher Schinas klar.
Wer nimmt Flüchtlinge auf?
An der Kritik der Menschenrechtsorganisationen wird das nichts ändern: fast alle, also auch syrische oder afghanische Kriegsflüchtlinge, in die Türkei zurückzuschicken, mit dem Argument, sie seien dort sicher, verstoße gegen internationales Recht.
Gleichzeitig bleiben weitere Fragen, die alle EU-Länder untereinander noch klären müssen: Insgesamt wollen die Europäer bis zu 72.000 syrische Flüchtlinge direkt aus der Türkei übernehmen. Unklar bleibt, welches Land davon wie viele überhaupt aufzunehmen bereit, wie groß die "Koalition der Willigen" also wirklich ist.
Auch der deutsche Anteil an diesem Programm muss erst noch ermittelt werden. Insgeheim erhoffen sich die EU-Offiziellen wohl, dass sie nicht mehr als 72.000 Plätze für Syrer zur Verfügung stellen müssen, weil sich die Flüchtlinge in Zukunft wirklich von der Reise nach Griechenland abhalten lassen. Denn dass der Türkei-Deal auch ein Abschreckungs-Deal ist, bestreitet eigentlich niemand.
Außerdem gehe die Bundesregierung davon aus, dass sich durch das EU-Türkei-Abkommen die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Deutschland deutlich reduziere, und damit das BAMF erheblich entlastet werde. Dadurch würden Kapazitäten für den Einsatz in Griechenland frei. Konkrete Zahlen und Einsatzpläne für die Polizisten und Asylentscheider gebe es noch nicht, da die Europäische Grenzschutzagentur Frontex und das Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) gerade dabei seien, ihre Anforderungen zu formulieren.
Von Peter Dalheimer, ARD-Hauptstadtstudio