NATO wird 70 Dauerkrise wegen Trump
In 70 Jahren seit Bestehen des Bündnisses hat die NATO bereits einige Tiefpunkte miterlebt. Doch im Moment befindet sie sich in einer Art Dauerkrise. Der Grund: Donald Trump.
Es war ohne Zweifel einer der gefährlichsten Momente in der 70-jährigen NATO-Geschichte: Beim Gipfel Anfang Juli 2018 in Brüssel drohte US-Präsident Donald Trump im abhörsicheren Sitzungssaal, er werde "sein eigenes Ding machen", sollten die Bündnis-Partner nicht genug zahlen. Ein Zitat, das Teilnehmer bestätigen.
Nur dank einer eilig einberufenen Krisensitzung vermied die Allianz, vom US-Präsidenten pulverisiert zu werden. Wenige Minuten später fielen dann diese Sätze: "Wir sind sehr glücklich. Wir haben jetzt eine sehr mächtige, starke NATO. Sie ist viel stärker als noch vor zwei Tagen", sagte Trump.
US-Präsident Donald Trump irritierte auf dem NATO-Gipfel in Brüssel die anderen Mitgliedsstaaten mit seiner Rede.
Trump präsentiert sich als "sehr stabiles Genie"
Hunderte Journalisten in Brüssel fragten sich, ob sie gerade halluzinierten. In das Halbdunkel des Pressekonferenz-Saales hinab verkündete der von Scheinwerfern angestrahlte US-Präsident - derselbe Mann, der soeben noch Schimpftiraden abgesondert hatte - dass er höchstpersönlich und sozusagen innerhalb von Minuten die Allianz in ein völlig neues, schlagkräftiges Gebilde verwandelt habe: "Ich bin sehr verlässlich. Ich bin ein sehr stabiles Genie."
Für ein Bündnis wie die NATO, das sich nach nichts mehr sehnt als nach verlässlicher, berechenbarer und planbarer Zusammenarbeit, ist der Zickzack-Kurs Trumps dramatisch. Denn kann sich ein Land nicht mehr darauf verlassen, dass die anderen ihm im Falle eines feindlichen Angriffs auch wirklich zu Hilfe eilen, hat sich die Allianz selbst erledigt.
Genau diese Garantie, den berühmten Artikel 5, hatte Trump ein ums andere Mal in Frage gestellt. Hinter verschlossenen Türen auf dem vergangenen NATO-Gipfel – aber auch bereits einmal live im Fernsehen: Zum Beispiel als er von Fox News gefragt wurde, warum US-Soldaten eigentlich das Neu-NATO-Mitglied Montenegro verteidigen sollten: "Das frage ich mich auch. Montenegro ist ein kleines Land. Dort leben starke Leute, sehr aggressive Leute. Und schon befinden wir uns im Dritten Weltkrieg."
Von der Sinn- in die Existenzkrise
Für eine auf Vertrauen und Zusammenhalt fußende Allianz wie die NATO wirken solche Sätze wie Salzsäure. Dass der wichtigste Auslandseinsatz des Bündnisses in Afghanistan nicht so verlief wie geplant, stürzte die Allianz vor rund zehn Jahren in eine schwere Sinnkrise. Kaum war sie überwunden, folgte die Existenzkrise.
Nicht etwa weil Russland die NATO vor unlösbare Herausforderungen stellte, sondern der US-Präsident: "Trump hat das Vertrauen, dass Amerika so oder so zu seinen europäischen Verbündeten stehen wird, unterminiert", sagte der Europa-Direktor des German Marshall Fund, Jan Techau.
Dauer-Nervosität im Jubiläumsjahr
Gewiss hat die NATO in ihrer 70-jährigen Geschichte schwere Krisen gemeistert: Über zu niedrige Militär-Ausgaben der Europäer wurde bereits in den 1950er-Jahren unter US-Präsident Eisenhower gestritten. Frankreichs Präsident Charles DeGaulle zog sein Land nach heftigen Meinungsverschiedenheiten 1966 aus dem Militär-Kommando der NATO zurück - ohne damit aus dem Bündnis auszutreten. Auch den Kalten Krieg und das nukleare Wettrüsten mit der Sowjetunion überstand die Allianz.
Aber eine solche Situation wie heute hat die NATO noch nie erlebt: "Das NATO-Bündnis ist ironischerweise von amerikanischer Seite aus gefährdet", sagt Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Zu den Gründungsmitgliedern des NATO-Bündnisses zählen die Vereinigten Staaten.
Minütlich muss die NATO nun damit rechnen, von Trump auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Oder gar fürchten, dass der Präsident des mächtigsten Bündnisstaats die eingebaute Überlebensgarantie, namentlich Artikel 5, wieder einmal in Frage stellt. Eine gewisse Dauer-Nervosität wird die NATO daher im Jubiläumsjahr kaum loswerden können.