Gazastreifen Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Beschuss von Klinik
Militante Palästinenser und Israel machen sich gegenseitig für einen Raketeneinschlag in ein Krankenhaus in Gaza-Stadt verantwortlich. Woher die Rakete kam, ist umstritten. Der Einschlag gefährdet die derzeit laufenden diplomatischen Bemühungen.
Durch einen Raketeneinschlag in ein Krankenhaus im Gazastreifen sollen Hunderte Menschen getötet und verletzt worden sein. Bei der Klinik handelt es sich um das einzige christliche Krankenhaus im Gazastreifen, das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Die von der militant-islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde machte die israelische Armee dafür verantwortlich.
Israels Militär wies die Verantwortung dafür allerdings klar zurück. "Das Krankenhaus wurde durch eine fehlgeschlagene Rakete der Terrororganisation Islamischer Dschihad getroffen", teilte die Armee in der Nacht mit. Die israelische Regierung sprach vom einem Terrorakt.
Israel will Beweise veröffentlichen
Zuvor hatte es vom Militär geheißen, alles "deute darauf hin", dass die militante Palästinenserorganisation verantwortlich sei. Eine zusätzliche Überprüfung der operativen und nachrichtendienstlichen Systeme habe nun ergeben, "das israelische Militär hat das Krankenhaus in Gaza nicht getroffen". Militärsprecher Daniel Hagari kündigte an, Beweise für die Annahme öffentlich machen zu wollen.
Aufnahmen von Militärdrohnen zeigten "eine Art Treffer auf dem Parkplatz", so Hagari. Das Militär habe ein Gespräch mit der militanten Palästinensergruppe Islamischer Dschihad abgehört, in dem die Kämpfer einen Fehlschuss zugegeben hätten, erklärte ein weiterer Militärsprecher, Oberstleutnant Jonathan Concricus, dem Sender CNN. Die Armee werde einen Mitschnitt des Gesprächs veröffentlichen.
Die israelische Armee zweifelt die Zahl der palästinensischen Todesopfer bei dem Raketeneinschlag auf das Krankenhaus in Gaza-Stadt an. Es habe keinen direkten Treffer auf die Einrichtung gegeben, sagte Hagari. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium gibt die Zahl der Opfer mit mindestens 500 an, hatte zuvor aber selbst von einem Treffer im "Hof eines Krankenhauses" im Zentrum von Gaza-Stadt gesprochen. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Arabische Staaten machen Israel für Angriff verantwortlich
Mehrere arabische Staaten machten Israel für den Angriff verantwortlich. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas rief zu einer dreitägigen Staatstrauer auf und sprach von Völkermord. Palästinensische Flaggen sollten auf halbmast gesetzt werden, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa. Saudi-Arabien verurteilte das "abscheuliche Verbrechen" aufs Schärfste. Die Staatsführung in Riad verurteile die "anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung" auf Zivilisten. Die Arabische Liga forderte den Westen auf, den Krieg zu stoppen.
Auch Länder wie Iran, Jordanien und die Türkei gaben Israel öffentlich die Schuld für die Explosion. Der Beschuss eines Krankenhauses, in dem Frauen, Kinder und unschuldige Zivilisten untergebracht seien, sei das jüngste Beispiel für israelische Angriffe, die frei seien von den grundlegendsten menschlichen Werten, teilte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf X mit.
Proteste in muslimischer Welt nach Klinikangriff
In mehreren muslimisch geprägten Ländern kam es zu spontanen Protesten. In der jordanischen Hauptstadt Amman versuchten Demonstranten zur israelischen Botschaft zu gelangen, wie die jordanische Nachrichtenagentur Petra meldete. Vor dem israelischen Konsulat in der türkischen Millionenmetropole Istanbul versammelten sich am Dienstagabend zahlreiche Demonstranten. In den südlichen Vororten von Beirut im Libanon strömten Augenzeugen zufolge Hunderte Hisbollah-Anhänger auf die Straßen und forderten, Tel Aviv zu bombardieren. Im Iran rief eine Menge im Stadtzentrum Teherans "Nieder mit Israel", wie Videos der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA zeigten.
In Tunesiens Hauptstadt Tunis protestierten Hunderte nach dem Vorfall vor der Botschaft Frankreichs, wie die Staatsagentur TAP meldete. Auch im irakischen Bagdad versammelten sich Augenzeugen zufolge Hunderte im Zentrum der Stadt.
Rückschlag für diplomatischen Bemühungen
Weltweit sorgt der Luftangriff für Entsetzen. Zudem wirkt er sich als Rückschlag für die derzeit laufenden diplomatischen Bemühungen aus. Jordanien sagte ein für heute geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden ab. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, werde erst stattfinden, wenn es eine Einigung gebe, den Krieg zu beenden und "diese Massaker" zu stoppen, sagte Außenminister Aiman al-Safadi dem jordanischen TV-Sender Al-Mamlaka.
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, verurteilte den Angriff. "Wir fordern den sofortigen Schutz von Zivilisten und Gesundheitsversorgung sowie eine Rücknahme der Evakuierungsverordnung", teilte Ghebreyesus auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit.
Lückenlose Aufklärung gefordert
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, forderte eine lückenlose Aufklärung. "Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", teilte er am späten Dienstagabend in Genf mit.
Er rief die Staaten mit Einfluss in der Region auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die furchtbaren Ereignisse dort zu einem Ende zu bringen. Er habe keine Worte für die Tragödie, so Türk weiter. "Dies ist völlig inakzeptabel. Krankenhäuser sind unantastbar, und sie müssen um jeden Preis geschützt werden." Auch Zivilisten müssten jederzeit vor Kriegshandlungen sicher sein und sie müssten dringend mit humanitärer Hilfe versorgt werden.
Macron: "Nichts kann Angriff auf Krankenhaus rechtfertigen"
Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte den Raketeneinschlag. "Nichts kann einen Angriff auf ein Krankenhaus rechtfertigen", schrieb er in der Nacht auf der Plattform X (früher Twitter). "Nichts kann es rechtfertigen, Zivilisten ins Visier zu nehmen." Die Umstände müssten in vollem Umfang aufgeklärt werden. Seine Gedanken seien bei den Opfern. Konkrete Schuldzuweisungen sprach er nicht aus. In einem weiteren Tweet forderte er, der Zugang für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen müsse unverzüglich wieder geöffnet werden.
Auch das Auswärtige Amt in Berlin äußerte sich. "Wir sind zutiefst erschüttert über die Berichte von Hunderten von Toten im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza. Zivile Ziele, insbesondere ein voll funktionsfähiges Krankenhaus mit Patienten und medizinischem Personal, dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden. Zivilisten müssen in Konflikten geschützt werden", schreibt das Außenministerium auf seinem englischsprachigen X-Account, ehemals Twitter.
US-Präsident Joe Biden sprach den Opfern sein Beileid aus. "Der Präsident hat den unschuldigen Opfern der Explosion in einem Krankenhaus in Gaza sein tiefstes Beileid ausgesprochen und den Verletzten eine schnelle Genesung gewünscht", teilte ein Sprecher des US-Präsidialamtes mit.