Konflikt um EU-Gipfelpaket Wer verhandelt und wie es weitergeht
Das EU-Parlament will mit dem Rat über das 1,8-Billionen-Gipfelpaket verhandeln. Kritikpunkte gibt es viele, Korrekturen gelten als wahrscheinlich. Wie laufen die Verhandlungen ab und wer vertritt welche Interessen?
Auf die Ständige Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Union in Brüssel kommt ganz schön was zu. Die "StäV" wird nämlich die Seite der 27 Mitgliedsstaaten vertreten, wenn die Verhandlungen mit dem Europaparlament über das rund 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket beginnen, das aus dem EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre und dem Corona-Wiederaufbauprogramm besteht. Diese Aufgabe ist Teil der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 turnusgemäß übernommen hat - und die Zuständigkeit für den EU-Haushalt liegt innerhalb der Bundesregierung beim Auswärtigen Amt.
Das Parlament muss dem EU-Haushalt zustimmen
Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß wird also demnächst - vermutlich abwechselnd im EU-Ratsgebäude und im europäischen Parlament - mit seinem Team den Unterhändlern des Europaparlaments gegenübersitzen, die mit einem ganzen Katalog an Änderungswünschen in diese Gespräche gehen. Sechs Finanzexperten sind vom Parlament für diese Verhandlungen benannt: Johan Van Overtveldt (Belgien) von den Konservativen, Jan Olbrycht (Polen) und José Manuel Fernandes (Portugal) für die christdemokratische Europäische Volkspartei, die Sozialdemokratin Margarida Marques (Portugal), die Liberale Valérie Hayer (Frankreich) und Rasmus Andresen (Deutschland) für die Grünen.
Diese Abgeordneten werden versuchen, so viel wie möglich von ihren Forderungen durchzusetzen. Zumindest auf dem Papier haben sie dabei ein kraftvolles Druckmittel in der Hand: Das europäische Parlament muss dem EU-Haushalt nämlich zustimmen. Allerdings kann es das Paket nur als Ganzes annehmen oder ablehnen - was die Verhandlungsposition entscheidend schwächt. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise in Folge der Corona-Pandemie werden die Parlamentarier den Haushalt kaum scheitern lassen. Schließlich sind die EU-Staaten dringend auf Geld aus Brüssel angewiesen.
Abgeordnete können mit Zugeständnissen rechnen
Trotzdem dürften Korrekturen an den Gipfelbeschlüssen der Staats- und Regierungschefs nicht ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich sein. Denn die Mitgliedsländer sind in fast allen politischen Bereichen auf eine Zusammenarbeit mit dem Parlament angewiesen. Aus dem Rat der Europäischen Union, also der Vertretung der EU-Staaten, ist schon zu hören: Die Methode "Vogel friss oder stirb" wird bei diesen Haushaltsgesprächen nicht funktionieren - auch wenn die finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind. Die Abgeordneten können also mit Zugeständnissen rechnen, werden aber sicher nicht alle Forderungen durchsetzen.
Auf Ausgaben in Höhe von 1074 Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre hatte sich der Gipfel verständigt. Sehr viel mehr wird kaum herauszuschlagen sein. Denn dann müsste im Zweifel ein neuer Beschluss der Staats- und Regierungschefs her. Angesichts des erbitterten Streits um Rabatte und Kürzungen beim Verhandlungsmarathon in Brüssel ist das keine realistische Option. Es geht also eher darum, Gelder umzuschichten und Prioritäten neu zu setzen. Darüber hinaus dürfte es höchstens kosmetische Änderungen geben, etwa eine Aufstockung im einstelligen Milliardenbereich, die aus nicht abgerufenen Mitteln des aktuellen Haushalts bezahlt werden könnte.
Parlament will mehr Geld für Klimaschutz
Unzufrieden ist das Parlament vor allem mit der finanziellen Ausstattung sogenannter Zukunftsbereiche. Die Abgeordneten wollen deutlich mehr Geld für Klimaschutz, Wissenschaft, Gesundheit und Studenten. Gerade bei europäischen Vorzeigeprojekten wie dem Forschungsprogramm "Horizon Europa" oder dem Austauschprogramm "Erasmus+" muss dringend nachgebessert werden, heißt es in einem Beschluss aus dieser Woche, den eine große Mehrheit des Parlaments unterstützt hat. Darin werden außerdem zusätzliche Finanzquellen für die EU verlangt, etwa eine Digitalsteuer. Gut möglich, dass sich die Länder bei dieser Frage noch bewegen.
Wichtig ist den großen Parlamentsfraktionen aber auch ein wirksamer Rechtsstaatsmechanismus. EU-Gelder sollen gekappt werden können, wenn Regierungen wie etwa in Polen oder Ungarn europäische Grundrechte mit Füßen treten und Justiz, Medien oder Meinungsfreiheit einschränken. Die Formulierungen aus dem Gipfelbeschluss lesen sich zwar eher wolkig, werden aber von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft als klarer Auftrag verstanden, das Thema schnell wieder auf die Agenda zu setzen. Grundlage könnte ein Kommissionsvorschlag von 2018 sein. Darin ist vorgesehen, dass Fördergelder bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können und dass eine entsprechende Entscheidung der EU-Kommission nur mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedsstaaten rückgängig zu machen wäre. Auch hier könnte sich also im Sinne des Europarlaments noch etwas tun.
Verhandlungen könnten Ende August beginnen
Und so sieht der Zeitplan für die nächsten Tage und Wochen aus: Bis Ende Juli dürften sich die 27 Mitgliedsstaaten auf ihre Verhandlungsposition verständigen. Darüber entscheiden entweder die EU-Botschafter bei einer Sitzung in Brüssel, oder die Regierungen in einem schriftlichen Verfahren. Die eigentlichen Verhandlungen zwischen den Vertretern von Rat und Parlament würden nach der Sommerpause Ende August beginnen und, wenn keine unüberwindlichen Hürden auftauchen, Anfang September abgeschlossen sein. Die Abstimmung im Europaparlament wäre dann in der ersten regulären Sitzungswoche Mitte September möglich. Danach muss das Ergebnis von den Mitgliedsstaaten formell abgesegnet werden, vermutlich bei einer Konferenz der EU-Außenminister.
Bis dahin ist aber für alle Beteiligten noch sehr viel zu tun.