Ungarns EU-Ratspräsidentschaft Weniger Chaos als befürchtet
Als Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, provozierte Premier Orban gleich mit höchst umstrittenen Auslandsreisen. Doch am Ende fällt die Bilanz der Ratspräsidentschaft versöhnlicher aus, als erwartet.
"Make Europe Great Again" - "Macht Europa wieder groß!" - schon mit dem von Donald Trump abgekupferten Motto der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft wurde Viktor Orban seinem Ruf als Provokateur gerecht. Und endgültig bestätigt sahen sich alle Skeptiker, als er nur zwei Tage nach Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft seine selbsternannte Ukraine-Friedensmission startete.
Innerhalb weniger Tage besuchte Orban Kiew und Moskau, die USA und China. Ein drastischer Alleingang, der nicht den erhofften Erfolg brachte, dafür aber massive Kritik fast aller EU-Mitgliedsstaaten, die dem ungarischen Ministerpräsidenten vor allem sein Treffen mit dem Kriegsherrn im Kreml übel nahmen. Wenig glaubwürdig waren da auch Orbans Erklärungen, dass er nicht den Eindruck erwecken wollte, er würde für die Europäische Union sprechen.
Der Schengenraum wird erweitert
Ansonsten hatte der ungarische Ministerpräsident keine Zweifel daran gelassen, dass er nicht für eine bürokratische Präsidentschaft stehe, in der die Dinge nur am Laufen gehalten würden, sondern eine, in der politische Entscheidungen getroffen würden. Ganz oben stünde dabei auf der Agenda die Migrationspolitik und die Annäherung der Westbalkanländern.
Ungarns "wichtigste Mission" sei "ganz ohne Zweifel" die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum gewesen, sagte Orban. Tatsächlich werden beide Länder zum 1. Januar Vollmitglieder in dem weltweit größten Raum ohne Binnengrenzkontrollen.
Beim Thema Migration trieb Budapest wenig überraschend einige verschärfende EU-Vorhaben voran, wie die Richtlinie gegen Beihilfe bei der illegalen Einreise in die EU. Außerdem wurden wichtige EU-Abkommen über wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und in den Bereichen Landwirtschaft sowie Gesundheit abgeschlossen.
Und Orban schaffte es, eine neue Dynamik in die Beitrittsgespräche mit den Westbalkanländern zu bringen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von "wichtigen Erfolgen", die während der ungarischen Ratspräsidentschaft erzielt wurden und dankte Orban beim letzten EU-Gipfel des Jahres dafür persönlich.
Professionell organisiert und offen für Debatten
Insgesamt sei es nicht die chaotische Ratspräsidentschaft gewesen, die manch einer erwartet hatte, glaubt auch Fernando Mariano Sampedro Marcos. Der spanische Europa-Staatssekretär lobt, dass sich Ungarn in den vergangenen Monaten auch kritischen Debatten stellte, beispielsweise, wenn die ungarischen Rechtsstaatsverstöße thematisiert wurden. Auch spricht kaum jemand den ungarischen Diplomaten und Beamten die sehr professionelle Organisation dieser Ratspräsidentschaft ab.
Der wurde allerdings einiges von dem sonst üblichen Glanz genommen. So verlegte EU-Chefdiplomat Josep Borrell aus Protest gegen Orbans Friedensmission die prestigeträchtige Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister von Budapest nach Brüssel. Zu den anderen Ministertreffen schickten viele Länder oft nur die zweite Personal-Garnitur nach Budapest. EU-Kommissare ließen sich gar nicht sehen.
Die Gastgeber versuchten, das Trauerspiel bestmöglich zu ignorieren oder tapfer wegzulächeln, wie im Juli Ungarns Innenminister Sandor Pintér beim Treffen des Rats für Justiz und Inneres: "Manchmal ist die zweite Reihe ja auch besser als die erste."
In der Rückschau haben die Absagen auch eher wenig bewirkt. Die meisten Menschen in der Union bekommen gar nicht mit, dass sich EU-Minister treffen, geschweige denn an welchem Ort. Der Boykott gegen Ungarns Ratspräsidentschaft wird deshalb am Ende auch nur ein politisches Symbol ohne Folgen bleiben.