Studieren im Ukraine-Krieg Schutzräume als Hörsäle
Vorlesungen im Keller, Onlineunterricht bei Luftalarm - in Kiew hat eine private Universität in ihre Infrastruktur investiert, damit die Studierenden sich sicher fühlen. Über den Uni-Alltag in Kriegszeiten.
Die Metalltür fällt hinter Myroslava Savisko zu. Sie schreitet die graue Betontreppe hinunter. Unten sind die Wände kahl. Ansonsten unterscheiden sie sich aber kaum von üblichen Seminarräumen. Es gibt Stühle mit Klapptischen, an den Wänden hängen Whiteboards. Savisko erklärt: "Bei Luftalarm gehen die Studentinnen und Studenten in die Kellerräume. Das sind Schutzräume und Hörsäle zugleich. Überall gibt es zudem Bildschirme, falls Präsentationen gehalten werden."
Savisko ist Wissenschaftlerin an der Kyiv School of Economics, einer privaten Universität in der ukrainischen Hauptstadt. Die Expertin für kommunale Selbstverwaltung hat fast die gesamte bisherige Großinvasion Russlands in Kiew erlebt. Der Arbeitsalltag gibt ihr zwar Halt, dennoch treibt sie der Krieg weiter um. "Stress ist allgegenwärtig. Nach außen kann man zwar ruhig wirken - innerlich ist es oft anders", erzählt sie. "Ein Freund von mir kämpft in der Region Donezk. Nach meiner Arbeit versuche ich, Spenden für seine Einheit zu sammeln."
Prüfungen bei Luftalarm
An der Uni herrscht an diesem Tag eine ruhige Stimmung. Im Foyer gehen Studierende und Personal ein und aus. Im Hintergrund dröhnt die Espressomaschine des universitätseigenen Cafés. Sophia, eine BWL-Studentin im ersten Semester, verbringt die Zeit zwischen den Vorlesungen auf einem Sitzkissen. Den Uni-Alltag in Kriegszeiten erlebt sie so: "Neulich hatten wir eine Prüfung, währenddessen gab es Luftalarm. Wir haben unsere Sachen genommen, sind in den Schutzraum gegangen und haben fünf bis sieben Minuten später weitergeschrieben. Das war kein Problem."
Sophia ist eine von etwa 700 Personen, die an der Kyiv School of Economics studieren. Vor Invasionsbeginn waren es nur 150. Die Universität hat in ihre Infrastruktur investiert und ihr Studienangebot erweitert. Finanzbedürftige Studierende erhalten Zuschüsse. Für Sophia war das Schutzkonzept ein wichtiger Grund, um sich an der Uni einzuschreiben: "Ich finde, das ist sehr gut organisiert. In der Schule habe ich eine Menge Stoff verpasst, weil wir bei Luftalarm viel Zeit in Schutzräumen verbracht haben. Dort gab es aber keine Tische und kein Internet."
"Ohne Krieg hätte ich mich beruflich anders orientiert"
Auch Yudrin, der Sozialpsychologie im Master studiert, findet die Lernbedingungen gut: "Bevor ein Seminar beginnt, wissen wir, in welchen Schutzraum wir bei Luftalarm gehen müssen. Wenn Luftalarm eine Stunde vor Seminarbeginn ertönt, findet es online statt."
Doch auch fachlich hat ihn die Uni überzeugt. Der 27-Jährige hat bereits einen Abschluss im Bereich Cybersicherheit. Doch er möchte sich nun, wie er sagt, gezielt weiterbilden, um seinem Land helfen zu können: "Ohne den Krieg hätte ich mich beruflich ganz anders orientiert. Jetzt habe ich ein stärkeres Bürgerbewusstsein. Sozialpsychologie ist für mich eine Richtung, mit der ich die Entwicklung der Gesellschaft mitgestalten kann."
Auch für BWL-Erstsemesterstudentin Sophia ist das Studium nicht nur eine Hochschulbildung, sondern eine Mission für die Ukraine: "Ich möchte dabei helfen, unsere Wirtschaft zu stärken, aber auch eine eigene Geschäftsidee verwirklichen. Ich denke, BWL ist gut geeignet, beides zu verbinden."
Fachkräfte für den Wiederaufbau
Timofii Brik dürften solche Aussagen erfreuen. Der Rektor der Kyiv School of Economics weiß, dass seine Universität als private Einrichtung über bessere finanzielle Mittel als staatliche Hochschulen verfügt. Doch er sieht die getätigten Investitionen sinnvoll angelegt - gerade jetzt: "Bildung ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Hochqualifizierte Menschen können während des Krieges neue Technologien entwickeln, die uns helfen, zu überleben. Danach werden wir Fachkräfte für den Wiederaufbau benötigen - Ingenieure, Ärzte, Psychologinnen."
Ein Ende des Krieges sehnt sich unterdessen auch Wissenschaftlerin Savisko herbei. Wobei sie eingesteht, dass sie mitunter Selbstzweifel plagen: "Ich frage mich oft, ob ich genug dazu beitrage, um den Krieg zu beenden. Ich glaube, so geht es vielen Personen in zivilen Berufen. Uns bleibt aber nichts anderes übrig, als uns weiter zu verteidigen, und uns in unserem Bereich einzubringen."