Schul- und Unistart in der Ukraine Bildung trotz des Krieges
In der Ukraine startet das neue Schul- und Unijahr. Seit Beginn des Krieges schreiben sich immer mehr Männer zum Studium ein - häufig, um dem Einzug in die Armee zu entgehen. Darüber sprechen möchte kaum einer.
An einem fürchterlich schwülen Tag im August sitzt Jurij Kutschyn in seinem heruntergekühlten Büro in Kiew. Er ist Rektor der nationalen medizinischen Oleksandr-Bohomolez-Universität in der ukrainischen Hauptstadt und versucht, seinen Studierenden trotz des Krieges eine Ausbildung zu ermöglichen.
Es sei eine große Herausforderung, sagt Kutschyn. "Wir bieten einen sehr flexiblen Bildungsprozess an mit unterschiedlichen Möglichkeiten. Hauptsächlich Präsenz- oder Fernstudium oder beides gemischt."
Studierende sind geflohen oder an der Front im Einsatz
Einige seiner Studierenden seien ins Ausland oder in andere Städte geflohen, berichtet Kutschyn. Viele seien aber auch als Sanitäter oder Soldaten an der Front im Einsatz. Auch sie versucht der Rektor so gut wie möglich zu unterstützen: "Angefangen bei der Frage, wie der Ausbildungsprozess individuell organisiert werden kann, und wie man bei anderen Problemen wie Munitionsversorgung helfen kann. Und wenn sie verwundet werden, sind wir in den gesamten Prozess mit den Militärkrankenhäusern involviert."
Viele andere - weniger spezialisierte - Universitäten haben jedoch einen anderen Trend festgestellt. Viele Männer nutzen offenbar ein Studium, um der Einberufung in die Armee zu entgehen. Die Journalistin Natalia Onysko hat mit ihrem Team Immatrikulationszahlen aus den vergangenen Jahren verglichen und eine starke Zunahme unter Studenten festgestellt: "Bei uns beginnt man das Studium zwischen 17 und 20 Jahren, das ist das Standardalter. Aber jetzt hat unsere Recherche gezeigt, dass plötzlich Männer über 30 in die Universitäten strömen."
Denn Studierende werden in der Ukraine zunächst nicht in die Armee eingezogen. Und so studieren nun 82 Prozent mehr Männer als noch vor dem russischen Angriffskrieg. Doch darüber sprechen möchte kaum einer. Zu groß ist die Angst vor den Behörden und dem gesellschaftlichem Druck: "Sie rechtfertigen sich oft: Ich habe mich eingeschrieben, weil ich einen Job habe und ihn nicht verlieren will, weil ich eine Familie zu ernähren habe. Ich spende viel an die Armee. Ich wäre ein schlechter Soldat, da kaufe ich lieber Drohnen für die Armee", erzählt Onysko.
Krieg nimmt Schulkindern Recht auf Bildung
Während sich die Armee im Süden der Ukraine langsam durch die russischen Verteidigungslinien kämpft, nimmt der Krieg vor allem Schulkindern das Recht auf Bildung. Mehr als 1.300 Schulen seien seit Beginn des russischen Angriffskriegs zerstört worden, gibt das Kinderhilfswerk UNICEF an.
In Kiew nimmt Viktoria Titowa das zum Anlass, um die alten sowjetischen Einrichtungen zu transformieren. In Zukunft braucht jede ukrainische Schule nicht nur einen Schutzkeller - auch barrierefrei müssen die Gebäude sein: "Viele Menschen haben Verletzungen, vor allem unter den Soldaten. Daher müssen wir Städte, Gemeinden und öffentliche Gebäude barrierefrei gestalten. Für unsere Helden und auch für ihre Kinder. Jeder Cent, den wir in den Wiederaufbau stecken, soll in die Menschenwürde investiert werden." Würde bedeute "Bewegungsfreiheit, Unabhängigkeit, die Möglichkeit, all das zu tun, was man vor der Verletzung getan hat".