Deutsche Ermittlungen zum Ukraine-Krieg Mutmaßliche Kriegsverbrecher identifiziert
In die Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ist auch die Bundesanwaltschaft eingeschaltet. In einem konkreten Fall seien nun die mutmaßlichen Schützen identifiziert, teilte Justizminister Buschmann mit.
Im ersten deutschen Ermittlungsverfahren zu einem konkreten Kriegsverbrechen in der Ukraine sind die Tatverdächtigen inzwischen bekannt. "Die mutmaßlichen Schützen und verantwortlichen Offiziere konnten bereits identifiziert werden", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) der Nachrichtenagentur dpa. "Wenn wir der Täter habhaft werden, werden wir Anklage erheben. Und wenn die Ukraine oder ein anderes Land, mit dem wir kooperieren, dieser Leute habhaft werden, dann werden wir das Beweismaterial so zur Verfügung zu stellen, dass dort erfolgreich Anklage erhoben werden kann."
In dem Verfahren, das Mitte Juli eingeleitet wurde, geht es um gezielte Schüsse von Angehörigen der russischen Streitkräfte auf flüchtende Zivilisten im Kiewer Vorort Hostomel. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft von September war unter den beschossenen und verletzten Zivilisten auch eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit. Es besteht ein Anfangsverdacht der Begehung von Kriegsverbrechen.
Ermittlungen der Bundesanwaltschaft
Vor der Eröffnung dieses konkreten Ermittlungsverfahrens hatte die Bundesanwaltschaft im März 2022 bereits ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eingeleitet. Dabei geht es darum, zunächst ohne konkrete Beschuldigte Beweise zu sichern, etwa indem Zeugen befragt werden, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben. Ähnlich war man auch in Bezug auf Kriegsverbrechen in Syrien vorgegangen, wo es inzwischen mehrere Verurteilungen gibt.
Aufrufe in mehreren Sprachen
Für Menschen, die Opfer oder Zeugen von traumatisierenden Erlebnissen geworden sind, sei es jedoch oft eine große Überwindung, sich noch einmal mit ihren Erfahrungen zu konfrontieren und darüber zu sprechen, sagte Buschmann. Die deutschen Behörden hätten Aufrufe in ukrainischer, russischer und englischer Sprache gestartet, um Menschen davon zu überzeugen, ihre Erfahrungen mit der Polizei zu teilen. Es gebe auch Personal, das ausgebildet sei, auch traumatisierte Menschen in angemessener Art und Weise zu vernehmen.
"Wir haben auch schon überlegt, mit dem Generalstaatsanwalt der Ukraine, Andrij Kostin, ein Video zu drehen, in dem er sich an seine Landsleute richtet", berichtete Buschmann. Es gehe darum, die Hürden zu senken. Es gelte, das Vertrauen in deutsche Behörden zu stärken, "dass man sich ihnen öffnen kann, auch wenn man etwas sehr Schlimmes erlebt hat, was man am liebsten schnell vergessen würde".
Genfer Abkommen regeln Umgang mit Zivilisten
Was die Staatengemeinschaft unter Kriegsverbrechen versteht, hat sie in den Genfer Abkommen von 1949 und dem Römischen Statut festgehalten. Darunter fallen "schwere Verletzungen der Genfer Abkommen" - unter anderem die vorsätzliche Tötung und Folter von Zivilisten sowie Kriegsgefangenen, aber auch schwere Körperverletzungen. Weiter aufgelistet werden die willkürliche Zerstörung und Aneignung von Eigentum in großem Ausmaß, Vertreibung und Geiselnahmen. Daneben werden auch "andere schwere Verstöße gegen die (…) im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche" als Kriegsverbrechen definiert.
Nach dem völkerstrafrechtlichen Weltrechtsprinzip können Kriegsverbrechen auch dann in Deutschland verfolgt werden, wenn es keinen Bezug zu Deutschland gibt - wenn also weder Täter noch Opfer Deutsche sind und auch der Tatort im Ausland liegt. So ergibt sich die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft im aktuellen Konflikt.