Die EU und die Ukraine Solidarität Ja, schneller Beitritt Nein
Für die EU ist es eine heikle Frage: Angesichts des russischen Angriffs drängt die Ukraine auf einen EU-Beitritt im Eilverfahren. Dagegen sprechen politische und technische Gründe. Aber ein Satz macht den Ukrainern Hoffnung.
Es waren Worte, die Erwartungen wecken und Hoffnung machen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen hat in einem Interview mit dem Sender "Euronews" die engen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine gewürdigt. Dabei sagte sie wörtlich: "Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns, sie sind einer von uns und wir wollen sie drinhaben."
Dieser Satz enthält zwei Aussagen, die man zusammen lesen muss. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hebt aber nur auf das "drinnen sein" am Schluss ab. Er verlangt angesichts des russischen Einmarsches ein Sonderverfahren, um sein Land schnell in die Europäische Union aufzunehmen. Das sei gerecht und das hätten die Ukrainer auch verdient, erklärte Selenskyj in einer Videoansprache.
Präsident Selenskyj wendet sich weiter mit Videoansprachen an seine Bevölkerung. Damit hält er auch den Druck auf den Westen zu Zeichen der Solidarität aufrecht.
Die Interpretation der EU
Die EU-Kommission verweist darauf, was ihre Chefin zu Beginn des Satzes sagt: "Im Laufe der Zeit…".
Nach den Worten eines Kommissionsprechers gelten für die Ukraine nämlich trotz des Krieges und des Leids der Bevölkerung die gleichen Bedingungen wie für andere Länder auch. Sie müssen vor einem etwaigen Beitritt einen langwierigen Prozess durchlaufen, um sich an den Werte- und Rechtsrahmen der EU anzupassen. Das kann Jahrzehnte dauern.
Schon jetzt besondere Beziehungen…
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den militärischen Angriff auf sein Nachbarland ausdrücklich damit begründet, dass die Ukraine sich nach Westen orientiert - dass eine Mehrheit der Bevölkerung in die Europäische Union strebt und die Regierung in Kiew eine NATO-Mitgliedschaft anvisiert.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen ihre Zukunft im Westen, das haben sie seit den Massenprotesten auf dem Maidan in Kiew immer wieder deutlich gemacht. Dem fühlt sich die EU verpflichtet und das drückt sich in besonderen Beziehungen aus, welche die Gemeinschaft vor allem nach der russischen Annexion der Krim 2014 zu Kiew aufgebaut hat. Es gibt ein Assoziierungsabkommen, das enge wirtschaftliche Zusammenarbeit vorsieht, vor allem im Energiebereich. Für ukrainische Bürgerinnen und Bürger gilt Visafreiheit bei Reisen in die EU.
Seit dem russischen Einmarsch leistet die EU massive Direkthilfe und politische Unterstützung - durch ein beispielloses Sanktionspaket und Waffenlieferungen im Umfang von 450 Millionen Euro.
… aber kein Beitritt im Eilverfahren
Eine formelle Anfrage von Seiten der Ukraine kam dann am Nachmittag: Präsident Selenskyj unterzeichnete ein offizielles Beitrittsgesuch. Der Sprecher der Kommission hatte aber vorher darauf hingewiesen, dass die 27 Staats- und Regierungschefs über die EU-Mitgliedschaft entscheiden.
Sie haben dafür klare Bedingungen formuliert. Dazu gehören die Achtung der EU-Werte, eine funktionsfähige Wirtschaft, die zum Binnenmarkt passt, und die Übernahme des gemeinsamen Rechtssystems. Ein Anwärterstaat muss in einem langen Verfahren nachweisen, dass er diese Kriterien erfüllt.
Entsprechend zurückhaltend ist Außenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf einen raschen EU-Beitritt der Ukraine. Das sei nichts, was man in einigen Monaten vollzieht, sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sprach sich in einem Gastbeitrag in der FAZ zwar dafür aus, der Ukraine wirtschaftlich schnell einen ähnlichen Status zu geben wie die Schweiz oder Norwegen. In Sachen EU-Mitgliedschaft verwies aber auch Weber auf die geltenden Voraussetzungen.
Schwierige Debatte zur falschen Zeit
Die EU-Kommission versucht deshalb, die europäische Perspektive der Ukraine und die Solidarität mit den Opfern der russischen Aggression zu betonen, gleichzeitig aber Missverständnissen vorzubeugen, die der Satz ihrer Präsidentin auslösen könnte.
Politisch ist eine Beitrittsdebatte im Augenblick nicht opportun: Sie könnte die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen beiden Seiten erschweren. Der Kreml nennt als Bedingung für eine mögliche Vereinbarung mit Kiew, dass Russlands Sicherheitsinteressen berücksichtigt werden. Dazu gehören aus Moskaus Sicht die Anerkennung der Souveränität der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim und eine Entmilitarisierung der Ukraine.
Eine NATO-Mitgliedschaft des Landes steht faktisch nicht zur Debatte. Denn die sehen einige der 30 Mitglieder der Allianz kritisch. Außerdem gilt die Regel, dass das Bündnis keine Staaten aufnimmt, die ungeklärte Konflikte mit ihren Nachbarn haben.