Wahllokale in der Türkei geschlossen Großes Interesse und Manipulationsvorwürfe
Die Wahllokale in der Türkei sind geschlossen - mit ersten Zahlen wird am Abend gerechnet. Bereits im Raum stehen erste Betrugsvorwürfe. Die Wahlbehörde des Landes beobachtete bislang keine Zwischenfälle.
Die Wahllokale in der Türkei sind geschlossen. Nun warten die Bürger auf die ersten Hochrechnungen. Der Chef der türkischen Wahlkommission YSK gab am Nachmittag bekannt, die Wahl sei bislang ohne größere Zwischenfälle gelaufen. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu zitierte ihn mit den Worten: "Bis jetzt verliefen die Wahlen ohne Probleme". Und: Er hoffe, dass es dabei bleibe.
Max Lucks, Grünen-Politiker und Wahlbeobachter des Europarats, sagte, in der Kurdenmetropole Diyarbakir sei die Lage ruhig. Er habe die Stadt noch nie so "gelöst und friedlich" erlebt wie an diesem Wochenende.
Berichte von halb-manipulierten Wahlzetteln
Doch im Internet werden in Videos Manipulationsvorwürfe erhoben: Darin ist etwa zu sehen, wie jemand den Wahlstempel scheinbar reihenweise bei Präsident Recep Tayyip Erdogan von der AKP setzt - in der Türkei werden Wahlzettel gestempelt und nicht von Hand ausgefüllt. Ein weiteres Video zeigte, wie jemand auf mehreren Stimmzetteln Erdogans AKP markiert.
Auch sollen halb-manipulierte Wahlzettel genutzt worden sein. Für die Bestätigung, dass es sich um einen offiziellen Wahlzettel handelt, sind diese auf der Rückseite gestempelt - und zwar an der Stelle, wo auf der Vorderseite des Zettels der Stempel für Erdogan hinkäme. Weil sich die Tinte offenbar durch das Papier saugt, sieht es aus wie eine Stimme für den türkischen Präsidenten. Dazu teilte ein Abgeordneter der oppositionellen CHP ein Video. Wie viele solcher Fälle es gibt und wie und ob solche Wahlzettel gewertet werden, ist unklar.
Wahlbeobachter der CHP sollen bei der türkischen Wahlbehörde Einspruch eingelegt haben. Weder ließ sich verifizieren, wann und wo die Aufnahmen gemacht wurden, noch, ob es sich bei den Wahlzetteln um echte Exemplare handelte. Auch ob die Vorwürfe berechtigt sind, ließ sich zunächst nicht überprüfen.
Wohl Angriffe auf Wahlbeobachter
Die prokurdische Oppositionspartei HDP bestätigte der Nachrichtenagentur dpa unterdessen einen Medienbericht, wonach im südosttürkischen Mardin Wahlbeobachter der Schwesterpartei YSP angegriffen wurden. Es sei zum Streit gekommen, nachdem Beobachter mehr als einem Familienmitglied den Zutritt zur Wahlkabine verweigert hätten.
Bei Twitter waren gestern offenbar auf Geheiß der Regierung einige Nutzer gesperrt worden. Noch-Twitter-Chef Elon Musk verteidigte das Vorgehen: Wäre das Unternehmen dem Wunsch nicht gefolgt, hätte die Regierung Twitter in der Türkei womöglich ganz gesperrt, sagte Musk.
Erdogan in Ankara angekommen
Erdogan traf unterdessen wider Erwarten in Ankara ein. Der Präsident sei am frühen Nachmittag in der Hauptstadt gelandet, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Am Mittag hatte Erdogan noch gesagt, er werde die Ergebnisse der Parlaments- und Präsidentschaftswahl von Istanbul aus verfolgen.
Ergebnisse am späteren Abend erwartet
Die Wahllokale sind seit 17 Uhr Ortszeit (16 Uhr deutscher Zeit) geschlossen. Mit Ergebnissen wird am späteren Abend gerechnet.
Insgesamt waren etwa 64 Millionen Menschen im In- und Ausland aufgerufen, den Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Es zeichnet sich eine hohe Wahlbeteiligung ab: Nach Zahlen der Opposition waren einige Wahlurnen in der Millionenmetropole Istanbul bereits am frühen Sonntagnachmittag gefüllt, vor vielen Wahllokalen hatten sich schon vor der morgendlichen Öffnung Schlangen gebildet.
Bei der Präsidentenwahl zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Erdogan und dem Oppositionsführer Kemal Kilicdarolgu ab - Erdogan ist bei den Wahlen das erste Mal seit 20 Jahren nicht der Favorit. Wer die Mehrheit im Parlament mit seinen 600 Abgeordneten erhält, ist noch nicht absehbar.
Mit Informationen von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul