Drusen schwenken Fahnen in der syrischen Provinz Suweida.
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Syrien Der Drahtseilakt der Drusen

Stand: 13.09.2023 10:35 Uhr

Sie sprechen Arabisch, haben eine eigene Flagge und verhielten sich lange Zeit neutral dem Staat gegenüber: die syrischen Drusen. Einige wagen nun den Aufstand. Ist das gefährlich für Assads Machtapparat?

Grün, rot, gelb, blau, weiß. Auf den ersten Blick erinnert die bunte Flagge, die auf den Straßen der syrischen Stadt Suweida geschwenkt wird, an die Regenbogenfahne. Bei genauerem Hinsehen wird klar: es ist die Flagge der Drusen.

Frauen, meist mit offenem Haar, sowie Hunderte Männer mit kegelförmigen weißen Hüten und imposanten Schnauzbärten protestieren offen gegen die syrische Regierung.

"Das Volk will den Sturz des Systems", skandieren Drusen seit Mitte August nahezu täglich. Schlechte Lebensbedingungen, steigende Preise und die Kürzung von Treibstoff-Subventionen seitens der Regierung sind der Grund dafür, dass sich ihre Wut auf Machthaber Bashar Al-Assad entlädt.

Man arrangierte sich mit Assad

Demonstrationen der religiösen Minderheit der Drusen gegen den Präsidenten gab es viele Jahre überhaupt nicht. Auch Machthaber Assad ist Teil einer Minderheit in Syrien, er ist Alawit. Gerne präsentiert er sich als Schützer der syrischen Minderheiten im Kampf gegen islamistische Gruppierungen.

Viele Christen, Schiiten und eben auch Drusen arrangierten sich nach den Aufständen 2011 mit Assad, verhielten sich vor allem in der Anfangszeit des seit zwölf Jahren andauernden Krieges neutral. 

Bürgerkriegsbedingte Wirtschaftskrise in Syrien löst Proteste gegen Machthaber Assad aus

Ramin Sina, ARD Kaio, tagesthemen, 01.09.2023 21:55 Uhr

Überleben der Gemeinschaft

Bis heute leben etwa 700.000 Drusinnen und Drusen im Süden des Landes rund um den Jebel ed-druze, dem Berg der Drusen. Weitere 20.000 auf den von Israel annektierten Golanhöhen. Sie glauben an die Wiedergeburt, vereinen Elemente der großen monotheistischen Religionen und der griechischen Philosophie.

Sie gelten als esoterisch, mystisch, geheimnisvoll. Manch islamischer Gelehrter sieht sie als Muslime, für andere sind die Drusen Abtrünnige. Es ist eine kleine Religionsgemeinschaft mit einem klaren Ziel in einer umkämpften Region.

"Es geht in der drusischen Politik immer übergeordnet um das Überleben der Gemeinschaft", analysiert Joseph Bahout, Professor an der American University in Beirut. Auch in den Nachbarländern Syriens, im Libanon, in Israel und Jordanien leben hunderttausende Drusen.

Zwischen den großen Religionsgemeinschaften der Sunniten, Schiiten, Christen und Juden agierten Drusen politisch meist eher vorsichtig und pragmatisch, so Bahout. 

Nicht zu weit aus der Deckung wagen

Drusen stellen selbst oft bewaffnete Milizen, die ihre Städte und Dörfer verteidigen sollen, so auch aktuell in Suweida. Einer direkten Konfrontation mit nationalen Sicherheitskräften sind sie aufgrund militärischer Unterlegenheit in der Vergangenheit meist aus dem Weg gegangen.

Ihre Rhetorik kann scharf sein, wie aktuell in Syrien. Doch Experte Bahout ist sich sicher: Im inner-drusischen Machtzirkel warnten politische Anführer die Aktivisten auf Suweidas Straßen vor einem großen Konflikt mit dem Machtapparat von Assad.

Es sei ein Drahtseilakt für die Drusen. Zu weit aus der Deckung wagen wollten sich viele nicht, aus Angst vor einer blutigen Auseinandersetzung. "Es ist eine kleine Gemeinschaft. Sie dürften alles versuchen, um Blutvergießen junger Drusen zu vermeiden", meint Bahout. Auf der anderen Seite gelten Drusen in Syrien als einflussreich, mit guten Verbindungen im Militär.

Zahlreiche Offiziersposten in der syrischen Armee werden von Drusen besetzt. Und sie wissen: Auch Assad scheint wenig an einem gewaltsamen Konflikt zu liegen, würde es doch sein Image als Beschützer der Minderheiten stark ramponieren.

Deal hinter den Kulissen

Ein besserer wirtschaftlicher Deal mit Damaskus scheint im Bereich des Möglichen, billiges Benzin soll die Regierung den Drusen bereits angeboten haben. Hinter den Kulissen dürften Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und drusischen Anführern längst laufen, sind sich Beobachter sicher.  

Der Loyalität der Drusen kann sich die Regierung um Assad aber nicht mehr sicher sein, das haben die Proteste deutlich gezeigt. Hunderte Demonstranten, die die bunte, drusische Fahne schwenken - das sind starke Bilder. Die Stärke, um Assads Machtapparat politisch gefährlich zu werden, haben die Drusen allein aber wohl eher nicht.