Wieder Demonstrationen in Syrien "Syrien gehört uns und nicht Assad"
In Syrien gehen die Proteste gegen den Präsidenten Assad weiter. Experten meinen: Assad hat längst keine eigene Stärke mehr. Er halte Syrien gerade noch in einer Art Balance. Doch wie lange noch?
"Syrien gehört uns und nicht Assad!", rufen die Demonstranten auf dem Platz der Würde in Suweida. Und: "Baschar raus!" Seit Wochen gehen die Menschen im Süden Syriens auf die Straße - fordern den Sturz des Regimes. Einer der Demonstrierenden sagt: "Die Demonstrationen gehen weiter, bis alle unsere Forderungen erfüllt sind." Die Menschen auf den Straßen wüssten, dass das ein weiter und steiniger Weg werde.
Wir sind gezeichnet von 50 Jahren voller Leid und Unterdrückung - wir wollen endlich in Freiheit und Würde leben.
Aufstand zunächst in Provinz Suweida
Begonnen hat der Aufstand in der Provinz Suweida, als die syrische Regierung Mitte August Subventionen für Treibstoffe aufhob und sich dadurch die Spritpreise vervielfachten. Die Abschaffung staatlicher Zuschüsse trifft viele Syrerinnen und Syrer hart: Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, es herrschen Hunger und Inflation - 90 Prozent Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze.
Aus allen Bevölkerungsgruppen gingen die Menschen in Suweida jetzt auf die Straße, um gegen die Missstände zu demonstrieren, sagt Syrien-Analystin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung. Mit dabei sind religiösen Führer der Drusen und viele Frauen. Laut Scheller treten die bei den Demonstrationen souverän als "eigener Block" auf. Zudem beobachtet Scheller: "Was hier in Syrien geschieht, betrifft die ganze Bevölkerung und dieses Selbstbewusstsein der Frauen dort, ihr Gesicht zu zeigen, finde ich beeindruckend."
Auch Drogenschmuggel Grund für Demos
Neben den schlechten Lebensverhältnissen gibt es offenbar noch einen weiteren Grund für die Demonstrationen: der Drogenschmuggel. Das Assad-Regime steht im Verdacht, Hauptproduzent der Droge Captagon zu sein, die von Syrien aus unter anderem über Jordanien in die reichen Golfstaaten geschmuggelt wird. Der Süden Syriens leide darunter, sagt Syrien-Kenner Andre Bank vom Giga-Institut in Hamburg. Er beobachtet in der Region Syriens Gesetzlosigkeit und willkürliche Gewalt - bis hin zu Tötungen. "Und die werden eben auch noch zusätzlich Assad zur Last gelegt, weil er der Hauptprofiteur dieses Drogengeschäfte ist", folgert Bank.
Analystin: Geduldsfaden der Menschen am Ende
Die Provinz Suweida wird mehrheitlich von Drusen bewohnt - die eigentlich eine ungeschriebene Übereinkunft mit Assad hatten und sich aus dem Bürgerkrieg weitestgehend raushielten. Aber diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.
Syrien-Analystin Scheller glaubt: "Die Leute sehen, dass auch für sie das Leben immer schwieriger geworden ist und dass es vor allen Dingen in keiner Weise irgendwie wieder aufwärts und vorangeht." Ihr Geduldsfaden sei am Ende. Nun seien die Menschen bereit, alles zu riskieren, "um jetzt wirklich diese Grundforderung der syrischen Revolution zu wiederholen" - den Sturz des Regimes.
Proteste erinnern an Arabischen Frühling 2011
Die Rufe nach einem Rücktritt Assad erinnern an die Proteste während des sogenannten Arabischen Frühlings 2011, auf die Assad mit Gewalt antwortete - der Anfang des syrischen Bürgerkriegs. Parallelen zu heute? Die Reaktion des syrischen Regimes ist bislang auffallend zurückhaltend.
Warum lässt Assad die Demonstrationen nicht einfach niederschlagen - wie er es seit 2011 getan hat? In Damaskus hätte er das sicher getan, sagt Andre Bank. In den Randgebieten, wo auch religiöse oder ethnische Minderheiten leben, sei die Kontrolle des syrischen Staates aber nicht so massiv. "Hier hat man die Befürchtung, wenn man mit allzu harter Hand vorgehen würde, dass es eine Art Backlash-Effekt hat - also dass sich dann diejenigen, die lange bei Assad standen, jetzt wirklich gegen ihn wenden."
Diese Vermutung ist nicht ganz unbegründet, denn die Drusen haben eigene Milizen, die sich vermutlich schützend vor die Demonstranten stellen würden. Syrien-Analystin Scheller schätzt: "Hier hat er Leute, die kann er nicht einfach beiseiteschieben, sondern der Aufschrei wäre sehr viel größer." Auch der Widerstand wäre laut Scheller in den Randgebieten sehr viel größer. Mit den Menschen dort wolle sich Assad im Moment nicht anlegen, weil sein Militär so stark einfach auch nicht ist, wie er immer sagt.
Assad auf Verbündete angewiesen
Wie fest sitzt der syrische Diktator wirklich im Sattel? Assad konnte mithilfe seiner Verbündeten Russland und Iran sowie verschiedenen Milizen 70 Prozent seines Staatsgebietes zurückerobern. Die syrische Opposition gilt als weitgehend zerschlagen und zersplittert, viele Staaten sehen den syrischen Diktator als alternativlos an - auch weil es im Land offenbar keinen ernst zu nehmenden Gegenkandidaten gibt, der bei einem Sturz Assads die Führung übernehmen könnte.
Und so feierte der syrische Diktator zuletzt sein internationales Comeback, als Syrien im Mai wieder in die sogenannte Arabische Liga aufgenommen wurde. Selbst Saudi-Arabien, langjähriger Unterstützer der syrischen Opposition, hat wieder diplomatische Beziehungen zum Assad-Regime aufgenommen. Alles sah so aus, als sei der Diktator gefestigter denn je. Der libanesische Militärbeobachter Amin Heteit sage noch vor einigen Monaten, Assad sei der stärkste Mann in Syrien.
Er kontrolliert einen Großteil des Landes. Alle Gruppen, Freund und Feind, ordnen sich ihm unter.
Kämpfe im Norden Syriens
Aber ist das wirklich so? Im Norden des Landes, wo die Kurden und arabische Milizen das Sagen haben, kommt es zu Kämpfen - im Nordwesten regieren teils extremistische Aufständische. Die Terrormiliz Islamischer Staat ist in Syrien aktiv und verübt Anschläge, im Süden demonstrieren die Drusen.
Hat Assad Syrien jenseits von Damaskus noch unter Kontrolle? Und wo stehen seine Verbündeten Russland und Iran? Bente Scheller glaubt: Assad hat wirklich ein Problem, das ganze Land zu kontrollieren. Deswegen könne er sich eigentlich keinen weiteren signifikanten Konfliktherd leisten. "Denn woher sollte er die Kräfte nehmen?", fragt Scheller.
Scheller glaubt außerdem, dass es für Assad durchaus eng werden könnte - denn Russland habe mehrfach gezeigt: Es gibt auch Grenzen, bis wohin es bereit ist, ihm innenpolitisch zu helfen. Scheller fügt hinzu: "Sie möchten und erwarten eigentlich, dass er seine internen Probleme langsam selbst in den Griff bekommt."
Unzufriedenheit im Land spürbar
Die Unzufriedenheit im Land sei spürbar, erklärt auch Bank. Das Regime hat seiner Ansicht nach eigentlich keine richtige Strategie, damit umzugehen, "weil es eben nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügt, die ganze Bevölkerung oder wichtige Teile der Bevölkerung ruhigzustellen". Scheller glaubt:
Assad hat keine eigene Stärke, das ist alles geliehen. Er braucht Milizen anderer Nationen, um seine Bevölkerung in Schach zu halten.
Assad brauche die russische Luftwaffe. Laut Scheller bräuchte er eigentlich noch mehr Unterstützung. Aber er bekomme sie nicht. Deswegen halte er Syrien in einer Art Balance. "Und das kleinste Tüpfelchen, was hier sich ändert, das kann diese schon wieder zum Wanken bringen", glaubt Scheller.
Korruption öffnete Milizen Tür und Tor
Die Korruption, die Assads Regime zerfresse, habe dafür gesorgt, dass es viele verschiedene Milizen gebe. Assad habe das Machtmonopol freiwillig aufgegeben an eine ganze Bandbreite von syrischen und nicht syrischen Milizen, so Scheller. "Und die werden hier auch ihr Eigenleben weiter ausbauen. Er kann diesen Frieden eigentlich nicht gewinnen."
Frieden nicht gewinnen, aber Ruhe mit Gewalt erzwingen? In Suweida herrschten mittlerweile Nervosität und Angst, sagen Aktivisten - alle fürchten, dass Assad bald zurückschlägt. Doch solange es irgendwie geht, wollen die Demonstranten in Suweida weitermachen. Das Motto: Komme, was wolle. Einer der Demonstrierenden sagte der Nachrichtenagentur AFP zuletzt eine Botschaft für Assad: "Selbst wenn du uns Benzin schenkst, selbst wenn Flugzeuge über Suweida Gold abwerfen sollten - wir wollen dich trotzdem stürzen."