Ein Taliban-Kämpfer bewacht die Ausgabe von Lebensmittelrationen.
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Reiseblogger in Krisengebieten Propaganda für Terrorregime?

Stand: 15.08.2023 10:00 Uhr

Deutsche Reiseblogger und YouTuber reisen in Kriegs- und Krisengebiete wie Afghanistan und Syrien. Wie Vollbild-Recherchen zeigen, findet Propaganda der Regime auch Eingang in die Videos und Posts von Influencern.

Von Von Dina Dada, SWR

Entgegen jeder Reisewarnung machen sich immer mehr Influencer, Content Creator und Reisebloggerinnen und -blogger zu gefährlichen Reisen auf - in autokratisch beherrschte Staaten oder Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien oder Afghanistan. Dabei wollen die Influencer authentische Geschichten erzählen, ohne politische Haltung.

Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen nun aber: Influencer verherrlichen in ihren Videos die Lage vor Ort, reproduzieren unreflektiert Staatspropaganda oder verschweigen schwere Verstöße gegen die Menschenrechte. Dadurch entsteht ein Zerrbild der wirklichen Lage vor Ort. Dies kann problematisch sein, denn laut einer Studie des Reuters Institute informieren sich junge Menschen mittlerweile lieber über Posts berühmter Influencer als über klassische Nachrichtenkanäle.

Taliban-Propaganda auf YouTube

Die Vollbild-Redaktion stößt bei ihren Recherchen auf einen deutschen Reiseblogger mit Zehntausenden Followern auf YouTube. Er reiste Ende 2022 für vier Wochen nach Afghanistan, das seit 2021 wieder unter der Kontrolle der radikalislamischen Taliban steht. Zwölfeinhalb Stunden Videomaterial zeigen ihn häufig auf dem Basar in Kandahar oder beim Smalltalk mit Verkäufern in Kabul.

In einem Video trägt er sogar einen Anstecker mit Taliban-Flagge, in einem anderen lässt er Mitglieder der Taliban offen in seine Kamera sprechen, um über seinen YouTube-Kanal Staatspropaganda zu verbreiten. Anschließend wiederholt der Blogger die Parolen, an seine Follower gerichtet: "Bitte akzeptiert Afghanistan als ein Land und lasst es Teil der internationalen Staatengemeinschaft werden. Wie man sieht, die Menschen sind nett und freundlich hier."

Der deutsche Reiseinfluencer wird so zum Sprachrohr für die Propaganda der Taliban. Im Vollbild-Interview rechtfertigt er sich: "Ich habe so wenig Material, wo die Taliban überhaupt was gesagt haben. Ich wollte einfach zeigen, was sie meinen."

Die Taliban, die der Influencer als so friedlich bezeichnet, sind für den Tod zahlloser Menschen verantwortlich, darunter auch Bundeswehrsoldaten. Derzeit rauben die Taliban den Frauen und Mädchen im Land sämtliche Rechte. Theresa Bergmann von Amnesty International spricht von "einer noch nie dagewesenen Menschenrechtskatastrophe".

Afghanistan sei das einzige Land weltweit, in dem Mädchen ab der siebten Klasse keinen Zugang zur Bildung haben. Frauen dürften nur noch in Ausnahmefällen das Haus ohne Begleitung eines Mannes verlassen und würden teilweise mit Anhängern der Taliban zwangsverheiratet. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Afghanistan. Die deutsche Botschaft in Kabul ist geschlossen, eine konsularische Betreuung vor Ort nicht möglich.

Stefan Recker, Caritas International, zu der Situation der Frauen in Afghanistan

tagesschau24, 15.08.2023 10:00 Uhr

Reiseagentur als verlängerter Arm des Regimes

Während es nach Afghanistan zurzeit vor allem Individualreisende verschlägt, bieten auffällig viele internationale Agenturen Trips nach Syrien an. Zwar warnt das Auswärtige Amt weiterhin auch vor Einreisen nach Syrien, aber seit 2019 vergibt das Bürgerkriegsland wieder Touristenvisa. Seitdem häufen sich Posts und Videos von Reiseinfluencern, die mit Agenturen und Guides durchs Land reisen.

Eine Fahrt nach Syrien ist nur mit lokalen Guides und organisiert durch eine Reiseagentur möglich. Die Recherchen belegen, dass Touristen dazu angehalten sind, sich vor Ort nicht kritisch über das Regime und den autokratischen Machthaber Baschar al-Assad im Land zu äußern. Besucht werden nur die von Assad kontrollierten Gebiete des Landes.

Vollbild fand in einer verdeckten Recherche heraus, dass eine deutsche Reiseagentur mit einem regimenahen lokalen Guide zusammenarbeitet, der offenbar familiäre Beziehungen ins Assad-Regime hat. Videos anderer Content Creators zeigen: Dieser Guide gibt in den Videos der Reiseblogger Parolen des Assad-Regimes wieder.

Food-Tour durchs Kriegsgebiet

Auch zwei deutsche Food-Influencer reisten im Anfang 2023 nach Syrien, unter anderem in die vom Krieg gezeichneten Städte Aleppo und Homs. Zwei lokale Guides wichen den Influencern nicht von der Seite.

Seitens der beiden deutschen Blogger ist kein Wort der Kritik zu hören. Sie essen sich durch ein Land, in dem Zweidrittel der Bevölkerung laut der Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor, von Hunger bedroht sind. Sie vergleichen Damaskus mit Städten wie Kairo oder Marrakesch. In einem Video scherzt einer von ihnen: "Ich war auf Afterhours, die gefährlicher waren."

Syrien gilt nach wie vor als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Das betont auch Luise Amtsberg von B90/Die Grünen, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung auf Anfrage: "Bis heute begeht das syrische Regime tagtäglich schwerste Menschenrechtsverletzungen gegen die syrische Bevölkerung." Darunter seien Angriffe auf die Zivilbevölkerung unter anderem mit Chemiewaffen, sexualisierter Gewalt, willkürlichen und rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter, Misshandlungen sowie Verschwindenlassen und Tötungen von Inhaftierten.

Die beiden Food-Blogger zeigen fast ausschließlich die positiven Seiten der Länder, in die sie reisen. Auf Anfrage von Vollbild lehnen sie ein Interview ab, auch schriftlich beantworten sie die Fragen der Redaktion nicht.

Social Media-Propaganda - Strategie des Regimes

Auslassungen, besonders aber Falschaussagen und Kooperationen mit regimenahen Agenturen und Tourguides, spielen den Autokraten in die Hände. "Dahinter steckt natürlich eine Strategie des Regimes", sagt Oliver Zöllner, Medienethiker der Hochschule der Medien Stuttgart.

"Auch wenn es keinen Deal gibt, ist der Deal einfach schon, dass ich dahinfahre und dann einen vordergründig unpolitischen Beitrag über das gute Essen oder das friedliche Leben auf den Straßen mache." So unterstütze man indirekt die Anliegen des jeweiligen Regimes, so Zöllner.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 15. August 2023 um 10:00 Uhr.