Russland Ermittlungen gegen weiteren Kreml-Kritiker
Die russische Justiz hat Ermittlungen gegen den Oppositionellen Jaschin eingeleitet. Wegen angeblicher Verbreitung von Falschinformationen drohen ihm zehn Jahre Haft - und der Ausschluss von den Kommunalwahlen.
Eigentlich sollte Ilja Jaschin in der Nacht freikommen. Seine Haftstrafe wegen angeblichen Ungehorsams gegen Polizeibeamte hatte der bekannte Oppositionspolitiker nach 15 Tagen abgesessen. Wenige Stunden vor seiner geplanten Entlassung meldete sich aber der Anwalt des 39-Jährigen, Wadim Prochorow, auf Facebook. Gegen Jaschin sei ein Strafverfahren eingeleitet, seine Wohnung durchsucht worden. Er, der Anwalt, sei auf dem Weg dorthin, Updates würden folgen.
Später erklärte Prochorow im Youtube-Kanal "Populäre Politik", der von den Mitarbeitern des inhaftierten Kreml-Kritikers Nawalny aus dem Exil bespielt wird: "Die Durchsuchung wurde ohne Gerichtsbeschluss durchgeführt. Es gibt eine Form, dass in dringenden Fällen eine Durchsuchung möglich ist, die dann im Nachhinein durch einen Gerichtsbeschluss legalisiert wird." Diese Methode werde in letzter Zeit immer häufiger angewandt.
"Sie wollen die Opposition plattwalzen"
Nun gehe es um die Frage der Anklageerhebung und der Wahl der vorläufigen Maßnahmen. "Im Prinzip aber haben die Behörden den folgenden Aktionsalgorithmus gewählt: Erheben einer Verwaltungsklage und Verhängung einer Verwaltungsverhaftung aus absolut banalen Gründen", so Prochorow. "Und in dieser Zeit versuchen sie tatsächlich etwas zu finden."
Es sei eine Maßnahme, auch noch die letzten Reste der in Russland verbliebenen Opposition platt zu walzen, erklärt Prochorow weiter und vergleicht den Fall Jaschin mit dem bereits seit April inhaftierten, prominenten Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa. Auch er bekam zunächst wegen angeblichen Ungehorsams gegen Polizeibeamte eine 15-tägige Haftstrafe. Und auch er wurde - so wie nun Jaschin - anschließend beschuldigt, Falschinformationen gegen die russische Armee verbreitet zu haben.
In beiden konkreten Fällen könnte das bis zu zehn Jahren Haft bedeuten. Noch immer hat der Prozess gegen Kara-Murza nicht begonnen. Seine Untersuchungshaft wurde vorerst bis zum 12. August verlängert.
Jaschin rechnete mit Verhaftung
Bis zu seiner Festnahme vor gut zwei Wochen hatte Jaschin auf seinem Youtube-Kanal immer wieder klar gemacht, dass es für ihn nur eine Frage der Zeit sei, bis er hinter Gittern lande. Wegen seiner öffentlichen Anti-Kriegs-Äußerungen hatte er schon mehrere Vorladungen erhalten und auch die ersten Prozesse hinter sich gebracht.
"Natürlich mache ich mir keine Illusionen über unsere Gerichte", erklärte Jaschin im Juni. "Egal welche überzeugenden Argumente wir haben, egal welche Experten wir mitbringen, Fakten wir auf den Tisch legen und Reden halten - die Entscheidung wird immer noch zugunsten des Systems ausfallen."
Dennoch betonte der Oppositionspolitiker immer wieder, dass er Russland nicht verlassen werde. "Das ist mein Land, meine Erde - ich gehe nirgendwo hin. Und ich werde weiter offen reden. Selbst wenn Sie mich hinter Gitter bringen, werde ich trotzdem dafür sorgen, dass meine Stimme auch von dort gehört wird."
Jaschin könnte Wahlen verpassen
Heute wurde nun offiziell Anklage gegen Jaschin erhoben wegen angeblicher Verbreitung von Falschinformationen über die russische Armee. Laut seinen Anwälten beziehen sich die Vorwürfe auf Aussagen, die Jaschin im Zusammenhang mit den Gräueltaten von Butscha getätigt hatte. Unter anderem hatte er auf seinem Youtube-Kanal die Berichterstattung der russischen Medien kritisiert, die von einer "ukrainischen Inszenierung" sprachen.
Gegenüber russischen Medien sagten Jaschins Anwälte, dass die Ermittler bereits die Inhaftierung des Oppositionellen gefordert hätten. Vorerst bis zum 12. September. Damit könnte der Politiker Jaschin auch nicht aktiv an den bevorstehenden Kommunal- und Regionalwahlen teilnehmen, die in diesem Jahr am 11. September stattfinden.