Verlegung in berüchtigte Strafkolonie Nawalny sendet ein Lebenszeichen
Angehörige und Unterstützer machten sich große Sorgen - einen Tag lang fehlte vom inhaftierten Kreml-Kritiker Nawalny jede Spur. Jetzt ist klar: Der 46-Jährige wurde in eine berüchtigte Strafkolonie verlegt.
Am Dienstag war der entscheidende Moment gekommen: Einem Anwalt, der Alexej Nawalny im Lager besuchen wollte, wurde kurz und knapp beschieden, dass es einen Verurteilten mit diesem Namen in der Strafkolonie von Pokrow nicht gebe.
Es ist ein Satz, der in Russland einem Code gleicht. Der nichts anderes heißt, als dass der Kreml-Kritiker verlegt wird. Von einem allgemeinen Straflager in eine Strafkolonie mit strengem Regime - so wie es die Gerichte entschieden hatten. Wohin aber genau, auch das gehört zum Ritual der sogenannten Etappierung, darüber schwiegen sich die Behörden aus.
Nawalny sieht sein Leben bedroht
"Jedes Mal, wenn er von Kolonie zu Kolonie gebracht wird, suchen wir ihn. Und zwar lange", kritisiert Nawalnys Anwältin Olga Michajlowa. Und das, obwohl Angehörige benachrichtigt werden müssen und es keinen Grund gibt, die Anwälte nicht zu informieren. Angehörige und Anwälte müssen oft Tage, manchmal auch Wochen ausharren, bis sie erfahren, wohin jemand verlegt wurde, bis es wieder einen direkten Kontakt gibt.
Es ist eine Zeit, die mit bangem Warten einhergeht. Auch im Fall von Alexej Nawalny, um dessen Sicherheit und Gesundheit sich nicht nur seine Anwälte und engen Vertrauten, sondern auch westliche Politiker sorgen. "Natürlich gibt es Bedrohungen", berichtet Michajlowa. "Alexej sagt immer, dass sein Leben in Gefahr ist. Deshalb besuchen wir Anwälte ihn so oft wie möglich im Straflager, um uns zu vergewissern, dass bei ihm alles in Ordnung ist."
Es sind Sorgen, die der Kreml nicht teilt, wie Putins Sprecher Dmitrij Peskow kurz und bündig wissen ließ: "Die teilen wir nicht."
Strafkolonie in Häftlingskreisen berüchtigt
Dass tatsächlich alles soweit in Ordnung ist, ließ am Abend überraschend Nawalny selbst wissen. In den sozialen Netzwerken ließ er entsprechende Posts veröffentlichen. Er befinde sich aktuell in Quarantäne - und zwar im Straflager Melechowo.
Die Kolonie befindet sich wie auch schon das Lager Pokrow im Gebiet Wladimir, unweit von Moskau. In Häftlingskreisen ist das Lager berüchtigt. Es gab unter anderem Vorwürfe wegen Machtmissbrauchs und Folter. Es ist eine Strafkolonie mit strengem Regime. Das heißt, es gibt deutlich mehr Beschränkungen - auch beim Kontakt zur Außenwelt. Nawalny selbst rechnet mit Isolation und mehr Druck.
"Es wird eine weitere Haftstrafe geben"
Vor dem Anti-Korruptionskämpfer liegen neun weitere Jahre im Straflager. Und dabei, befürchtet seine Anwältin Michajlowa, werde es vermutlich nicht bleiben. "Wir haben noch Strafverfahren vor uns, die gerade geprüft werden", sagt sie. "Es wird eine weitere Haftstrafe geben."
So paradox es klingt: Für Nawalny sind die Prozesse inzwischen wichtig. Sie verschaffen ihm in Russland einen letzten Rest Öffentlichkeit. Er nutzt sie, um mit dem russischen Präsidenten, den er einen Kriegstreiber nennt, hart ins Gericht zu gehen. Und um seine Anhänger aufzurufen, sich von dem System nicht einschüchtern zu lassen.
Aufgeben ist für ihn selbst keine Option. Und auch seine Anwälte wollen weiter für ihn kämpfen. Schließlich entbehre das gesamte Vorgehen der Justiz gegen Nawalny jeder Grundlage.