Russlands Krieg gegen die Ukraine Verhandlungen als Ausweg?
Wie denken Russinnen und Russen über Verhandlungen mit der Ukraine? Eine knappe Mehrheit ist aktuell dafür. Putin gibt an, dafür offen zu sein - ohne von seinen Positionen abzurücken.
"Mein Wunsch für das neue Jahr ist Frieden auf der ganzen Welt", sagt die Rentnerin Vera. Und auch Studentin Tanja wünscht sich, "dass alles gut wird - und friedlich". Ähnliches wünscht sich auch Igor, der im Zentrum Moskaus gerade die Metrostation verlässt. Anders als die beiden Frauen verbindet er damit aber auch einen Sieg Russlands über die Ukraine. "Natürlich will ich, dass Russland gewinnt. Was kann es denn schon für Verhandlungen geben mit Nazis und Faschisten?"
Eine Mehrheit in Russland ist für Verhandlungen
Igor spricht also von denjenigen, die der Kreml mit seiner sogenannten militärischen Spezialoperation in erster Linie zu bekämpfen vorgibt. Laut der jüngsten Studie des renommierten Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada Zentrum ist der Anteil derer, die sich - so wie Igor - für eine Fortsetzung der Kämpfe aussprechen zuletzt wieder leicht gestiegen. Von 36 Prozent im Oktober auf 41 Prozent im November. Eine knappe Mehrheit der Befragten sei aber nach wie vor für Verhandlungen - allem voran die Jüngeren.
Verhandlungen, von denen auch die russische Führung immer wieder beteuert, dass sie prinzipiell dafür bereit sei - bei gleichzeitiger Betonung, dass die so genannte Spezialoperation so lange fortgesetzt werde, bis alle ihre Ziele erreicht seien. Erst kürzlich hatte es Wladimir Putin selbst einmal mehr unterstrichen - aber auch sich aus seiner Sicht ergebende Fragen formuliert: "Wie kann man verhandeln? Worüber? Kann man überhaupt mit jemandem verhandeln? Und wo sind die Garantien? Das ist doch die Frage. Aber im Endeffekt muss man verhandeln."
Ukraine fordert vollständigen Abzug
Das letzte Treffen der Delegationen Russlands und der Ukraine liegt bald neun Monate zurück. Es fand Ende März in Istanbul statt. Danach hat es keine direkten Verhandlungen mehr gegeben. Für ihr Stagnieren gaben sich beide Parteien gegenseitig die Schuld.
Mittlerweile fordert die ukrainische Seite erst einen vollständigen Abzug der russischen Truppen von ihrem Territorium, bevor sie den Gesprächsfaden wieder aufnimmt. Abbas Galljamow, russischer Politik-Experte und ehemaliger Redenschreiber Wladimir Putins ist überzeugt, dass der russische Präsident noch lange nicht soweit ist, auf derartige Bedingungen einzugehen.
Zumal die Ukraine direkte Verhandlungen mit einem Präsidenten Putin inzwischen per Dekret verboten hat. Doch auch die Bereitschaft Putins, Zugeständnisse zu machen, beschreibt der mittlerweile im Ausland lebende Politologe als überschaubar: "Seiner Ansicht nach ist es bereits ein Zugeständnis, auf weitere Forderungen zu verzichten. Und es hat am Anfang sehr viele Forderungen gegeben, einschließlich der Absetzung der ukrainischen Regierung unter Selenskyj. Darauf hat er inzwischen verzichtet - das ist seiner Meinung nach ein Zugeständnis."
"Auch misslungene Verhandlungen bringen ein Resultat"
Der russische Präsident sei sich durchaus bewusst, dass sein anfängliches Ziel - ein vollständiger Sieg über die Ukraine - nicht mehr zu erreichen ist, weswegen er sich Verhandlungen als Ausweg sogar wünsche, erklärt Putin-Kenner Galljamow. Gleichzeitig aber könne er den Militäreinsatz nicht ohne vorzeigbares Ergebnis beenden - damit sich die Russinnen und Russen nicht bald die Frage nach dem Sinn des Ganzen stellten.
In seiner Rhetorik und in seinen Taten gibt sich der Kreml daher weiter unbeugsam. Sei es durch die Fortsetzung der jüngsten Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur, die Forderung nach internationaler Anerkennung der durch Russland annektierten ukrainischen Gebiete oder das Beharren auf den vor einem Jahr formulierten, verbindlichen Sicherheitsgarantien, die einen NATO-Beitritt der Ukraine prinzipiell ausschließen würden.
Und auch in den wenigen Telefonaten, die westliche Staats- und Regierungschefs, wie Olaf Scholz oder Emmanuel Macron, mit Putin führen, zeichnet sich keine Bewegung ab. Trotzdem seien diese Gespräche wichtig, sagt Politik-Experte Galljamow. "Auch misslungene Verhandlungen, bringen ein Resultat. Es ist wichtig, die Stimmung zu testen. Hat er vielleicht doch Zweifel? Wenn ja, welche? Man muss das prüfen - telefonieren und mit ihm reden."
Galljamow glaubt nicht an einen Elitenputsch
Dadurch bleibt der diplomatische Kontakt aufrecht erhalten. Für einen Durchbruch könnten derartige Gespräche aber nicht sorgen. Dieser sei nach jetzigem Stand nur von innen zu erwarten, meint Galljamow - und zwar von oben. Er persönlich glaube nicht an eine Art "Elitenputsch, also ein Komplott, einen Sturz, eine Revolte". Galljamow verneint das. "Ich denke sie werden versuchen, ihn aktiv zu überzeugen, einen Nachfolger zu benennen und in Rente zu gehen. Damit der Nachfolger dann die Verhandlungen mit Selenskyj führt und damit beginnt, die Situation zu normalisieren."
Doch macht der Politik-Experte ebenso deutlich, dass dieses Szenario zwar möglich, aber nicht definitiv gesetzt ist - und es erst recht keinen klar prognostizierbaren Zeitrahmen für derartige Entwicklungen geben kann. Den Wunsch vieler Russinnen und Russen nach friedlicheren Zeiten, wird die Politik somit vorerst nicht erfüllen. Denn nicht einmal eine Waffenruhe zu Neujahr, erklärte erst kürzlich Kremlsprecher Dmitri Peskow, stehe auf der Tagesordnung.