Nigel Farage und Reform UK Der Scharfmacher lädt zum Parteitag
In Birmingham beginnt heute der Parteitag von Reform UK. Bei der Parlamentswahl zeigten die Rechtspopulisten ihr Potenzial, was wohl vor allem Parteichef Farage zu verdanken war. Dieser bläst bereits zur Jagd.
Der britische Premierminister Keir Starmer dürfte gewusst haben, dass sein "Love-In" mit Georgia Meloni in Rom - als er Anfang der Woche lachend und scherzend mit der italienischen Postfaschistin durch den Garten der Villa Doria spazierte - bei seiner Labour-Partei ein deutliches Unbehagen hinterlassen würde. Erst recht, nachdem er ihr Offshore-Asylabkommen mit Albanien als eine "interessante Idee" bezeichnete.
Annette Dittert, ARD London, über den Parteitag der Reform UK von Farage
Aber Starmer hat keine andere Wahl, als in Sachen irregulärer Migration schnell zu beweisen, dass er tätig wird. Der Grund dafür ist vor allem ein Mann: Nigel Farage. Dessen rechtspopulistische Partei Reform UK gewann im Juli aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts zwar nur fünf Sitze, der Stimmenanteil lag aber bei 14,3 Prozent.
Was Starmer aber noch weit mehr beunruhigen dürfte: In 89 der 412 Wahlkreise, die er gewann, lag Reform UK nur ganz knapp hinter Labour. Das inspirierte Farage zu einem neuen Schlachtruf: Von nun an werde man nicht mehr die konservativen Tories, sondern Labour zum Hauptfeind erklären.
Starmers "Love-In" mit Meloni in Rom sorgte in der Labour-Partei für Stirnrunzeln.
"Wir werden sie jagen"
"Diese Labour-Regierung wird sehr bald in großen Schwierigkeiten stecken. Wir werden sie jagen!", rief er seinen Anhängern noch am Wahlabend zu, der heutige Sieg sei erst der Anfang von etwas, was noch viele überraschen werde. Wer Farages Werdegang über die vergangenen 15 Jahre auch nur oberflächlich verfolgt hat, weiß, dass man solche Kampfansagen besser ernst nehmen sollte.
Mit seiner überraschenden Rückkehr in die Politik nur wenige Monate vor den Wahlen im Juli dieses Jahres trug er wesentlich zur Zerstörung der Tories bei. Die ehemals mächtigste konservative Volkspartei Europas, die geglaubt hatte, Farages rechtspopulistische und zunehmend rassistische Parolen neutralisieren zu können, indem sie sich selbst immer weiter nach rechts bewegte. Das ging gründlich schief.
Die Tories verloren mehr als 250 Sitze und fuhren damit im Juli das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Man sei so gut wie ausgelöscht worden, erklärten die eigenen Abgeordneten und Farage ließ Gerüchte streuen, er habe nichts dagegen, bald auch noch den traurigen Rest der Tory-Partei zu übernehmen. Die sucht in einem langwierigen Verfahren nach einem Nachfolger für den glücklosen Rishi Sunak. Ihr alter Überlebensinstinkt hat sie aber bislang eine solch tödliche Umarmung ausschließen lassen.
Polarisierer und Brexit-Vorbereiter
Auch der Brexit ist nur schwer ohne Farages rücksichtlose Polarisierungen vorstellbar. Mit seinem jovial-aggressiven Charisma und einem Gespür für Reizthemen erreichte er Wählerschichten, die sich von den Volksparteien immer weniger angesprochen fühlten. Dabei log und polemisierte er immer wieder hemmungslos gegen AIDS-Kranke, Migranten oder Brüsseler Bürokraten und schuf auf diese Weise den fruchtbaren Boden, auf dem das Brexit-Referendum 2016 gewonnen werden konnte. Es war wohl sein größter politischer Erfolg bislang.
Dass der EU-Ausstieg mittlerweile von einer Mehrheit der Briten als klarer Fehler gesehen wird, berührt seine Popularität kaum. Der Brexit sei einfach nicht richtig umgesetzt worden, erklärte er vor einigen Monaten, um sich dann wieder Attacken gegen das sogenannte Establishment zu widmen. Farage ist womöglich derjenige unter den britischen Politikern, der dem Stil einer Sahra Wagenknecht am nächsten kommt, ihn womöglich erfunden hat. Der ewige Disruptor, der sich aus der Tagespolitik vornehm heraushält, und dessen Kerngeschäft die Zerstörung liberaldemokratischer Strukturen ist.
In einer Hinsicht allerdings unterscheidet er sich hier von seinen deutschen "Verwandten". Während er aus seiner Nähe zu Autokraten wie Donald Trump und Wladimir Putin keinen Hehl macht, kam Farages Versuch, Putins Angriff auf die Ukraine als Provokation der NATO darzustellen, bei den Briten derart schlecht an, dass er an diesem Punkt umgehend einen seiner seltenen Rückzieher machte. Denn noch steht die britische Öffentlichkeit unbeirrt, geschlossen und einmütig hinter der Unterstützung für die Ukraine. Und noch sieht auch alles danach aus, als ob Starmer mit seiner sicheren Mehrheit im Parlament die nächsten fünf Jahre unbeschadet überstehen wird.
Starmer im Umfragetief
Aber die Zeiten sind unberechenbarer geworden. Starmers Amtsantritt liegt noch keine zwei Monate zurück und statt des üblichen Honeymoons sind seine Umfragewerte so rapide abgestürzt, wie bei noch keinem frisch gewählten britischen Premier. Das mag an bislang fehlenden Visionen, schlechter Kommunikation oder Starmers eklatantem Mangel an Charisma liegen. Und natürlich kann es sein, dass seine Amtszeit am Ende doch noch ein Triumph wird.
Hinzu kommt, dass das britische Mehrheitswahlrecht das Land bislang vor einer Zersplitterung der Parteienlandschaft, wie sie Deutschland derzeit erlebt, einigermaßen hat bewahren können. Aber dennoch: Bei der Wahl im Juli 2024 haben die beiden großen Volksparteien zusammen nur 57 Prozent der Stimmen gewonnen. Dies bedeutet, dass jeder dritte Brite sich von ihnen nicht mehr vertreten fühlt. Dies ist ein Umstand, den es so seit mehr als 100 Jahren auf der Insel nicht gegeben hat.
Mit breiter Brust zum Parteitag
Wenn die Briten also demnächst die Wahl zwischen einer ungeliebten Labour-Regierung einerseits und den weiter in den Rechtspopulismus abgerutschten Tories haben sollten, dann könnte die Stunde eines Nigel Farage als ernsthafter Gegenspieler beider großer Parteien doch noch kommen.
In jedem Fall wird genau dies das Ziel sein, das er auf dem Parteitag in Birmingham heute triumphierend verkünden wird. Nach dem Durchbruch bei den Wahlen im Juli kann er auf ein noch breiteres Medienecho als sonst hoffen. Und auch Starmer dürfte Farages Rede sehr genau und mit aufmerksamer Sorge verfolgen. Denn spätestens seit der Juli-Wahl sind nicht mehr die Tories sein gefährlichster Gegenspieler, sondern Farage. Der Mann, der jetzt ausholt, um auch die andere noch verbliebene britische Volkspartei ins Visier zu nehmen.