Parlamentswahl in Polen Frei ja - aber fair?
Ob die heutigen Wahlen in Polen als fair bezeichnet werden können, daran gibt es große Zweifel. Denn die Regierungspartei nutzte ihren Einfluss auf Medien und staatliche Unternehmen, um sich im Wahlkampf Vorteile zu verschaffen.
Eine Fernsehansprache hält ein hoher Politiker auch in Polen eher zu Weihnachten und an Neujahr. Doch der Präsident der zweiten Parlamentskammer, Senats-Marschall Tomasz Grodzki von der oppositionellen Bürgerplattform, nutzte vor drei Wochen sein von der Verfassung garantiertes Recht, jederzeit im Fernsehen sprechen zu dürfen, um die Polinnen und Polen über einen Regierungsskandal zu informieren. "Nur so kann diese Wahrheit jeden erreichen", sagte Grodzki. "Sie muss auch im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt werden, das viele von Ihnen sehen."
Grodzki wollte die Polinnen und Polen über die sogenannte Visa-Affäre informieren: Polnische Konsulate sollen gegen Bezahlung tausende bis hunderttausende Visa illegal vergeben haben, vor allem in Asien und Afrika. Ein erstaunlicher Vorgang angesichts der migrationsskeptischen Regierung.
Berichterstattung voreingenommen
Doch im von der Regierungspartei PiS kontrollierten staatlichen Rundfunk, der für Millionen von Polinnen und Polen die wichtigste Informationsquelle ist, war die Visa-Affäre kein Thema. In den Abendnachrichten der staatlichen Medien wird ausschließlich über Erfolge der Regierung berichtet. Die politische Opposition kommt entweder gar nicht vor oder wird gezielt verleumdet.
Bereits nach der Parlamentswahlen 2019 kritisierte die OSZE die Berichterstattung als voreingenommen. Seitdem ist die Situation noch schwieriger geworden. So wurde es Kandidaten der Opposition verwehrt, Anzeigen für ihren Wahlkampf in Zeitungen zu schalten, die der teilstaatliche Mineralölkonzern Orlen vor einigen Jahren erwarb. Konzernchef Daniel Obajtek ist PiS-Mitglied.
PiS nutzt staatliche Strukturen für Wahlkampf
Die PiS dagegen nutzt staatliche Strukturen konsequent als Verstärkung für ihren Wahlkampf. Auf den Webseiten staatlicher Unternehmen wie Wasserwerken und Stromversorgern, aber auch über die monatlichen Rechnungen wird in großem Stil Wahlwerbung für die PiS verbreitet.
Zudem werben Leiter staatlicher Unternehmen zum Teil offen für die Regierungspartei. Der Direktor der staatlichen Forstbetriebe, Józef Kubica, erklärte bei einer Pressekonferenz, dass er bereit sei, gemeinsam mit der Regierung "diese große Wahlschlacht zu gewinnen".
Im Sommer veranstaltete die PiS zahlreiche "Bürgerpicknicks", um über die geplante Erhöhung des Kindergeldes zu informieren. Die sahen verdächtig nach Wahlkampfveranstaltungen aus, wurden jedoch aus Steuermitteln bezahlt.
Referendum, um Wahl zu beeinflussen
Parallel zur Wahl lässt die PiS ein Referendum abhalten. Polinnen und Polen sollen abstimmen, ob sie zum Beispiel den Ausverkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen unterstützen, eine Anhebung des Rentenalters wollen oder weniger Schutz an der polnisch-belarusischen Grenze befürworten.
Die Fragen sind suggestiv formuliert, stehen politisch nicht zur Diskussion und bedienen Kernthemen der PiS, mit denen sie ihre Wählerschaft mobilisiert. Doch da es sich um ein Referendum handelt, kann die PiS Informationsveranstaltungen und Werbespots auch mit öffentlichen Geldern bezahlen und schont das eigene Wahlkampfbudget.
Echte Probleme würden im Referendum nicht angesprochen, kritisiert Krzysztof Gawkowski, Fraktionsvorsitzender der Linken in der polnischen Parlamentskammer Sejm. "Sie fragen nicht nach Inflation und Teuerung, wie man aus der Wirtschaftskrise kommt, wann und wie wir die ausstehenden EU-Gelder bekommen, nach dem Gesundheitswesen oder nach Bildung." Das Referendum, so Gawkowski, diene einzig und allein dem Ziel, das Wahlergebnis um jeden Preis zugunsten der PiS zu beeinflussen.
Wahlrechtsreform zugunsten der PiS
Zudem hat die PiS Anfang des Jahres Änderungen am Wahlrecht vorgenommen. Dabei wurde die Zahl der Wahlkreise erhöht, so dass es auf dem Land, wo tendenziell mehr PiS-Wähler leben, mehr Wahllokale gibt. Für ältere Wählerinnen und Wähler soll es Fahrdienste zu den Wahllokalen geben, damit diese wirklich wählen können.
Für Auslandspolen, die bei der letzten Parlamentswahl mehrheitlich die Opposition gewählt haben, ist das Wählen schwieriger geworden. So müssen alle Wahllokale im Ausland die Stimmzettel innerhalb von 24 Stunden auszählen. Das war auch schon vor der PiS so. Doch jetzt muss jedes Mitglied der Wahlkommission jeden Wahlzettel persönlich in Augenschein nehmen, wodurch die Auszählung länger dauert. Schafft es das Wahllokal nicht, alle abgegebenen Stimmzettel innerhalb von 24 Stunden auszuzählen, verfällt das ganze Wahllokal. Dann zählt keine der dort abgegebenen Stimmen.
Insgesamt nutzt die PiS Medien, Staatsunternehmen, das Referendum und eine Wahlrechtsreform, um sich Vorteile bei Wahlen zu verschaffen. Das fällt auch Polinnen und Polen auf. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS sind mit 56,2 Prozent mehr als die Hälfte der Polen der Überzeugung, der Wahlkampf verlaufe nicht fair.