Selenskyj in Polen "Zwischen uns gibt es keine Tabuthemen"
Zum ersten Mal ist der ukrainische Präsident Selenskyj zu einem Staatsbesuch nach Polen gereist. Kein anderes Land in Europa engagiert sich so für die Ukraine - auch militärisch. In Kürze sollen weitere "MiG-29"-Kampfjets übergeben werden.
Schon als die schwarze Limousine mit dem ukrainischen Präsidentenpaar in Warschau vorfuhr, war klar: Das wird kein gewöhnlicher Staatsbesuch, nicht einfach freundliches Händeschütteln zweier Staatschefs im Frieden. Vor dem Präsidentenpalast warteten der polnische Präsident Andrzej Duda, seine Frau und Vertreter der Regierung - in Anzug und Krawatte.
Auf der anderen Seite stand die ukrainische Delegation - in Tarnfleck, Olivgrün, Funktionskleidung. Der ukrainische Präsident Wolodomy Selenskyj reiste aus dem Krieg an. Er kam nicht das erste Mal nach Polen, aber nach mehreren informellen Treffen zum ersten offiziellen Staatsbesuch in Warschau.
Duda verspricht weitere "MiG-29"-Kampfjets
Duda empfing seinen Gast mit militärischen Ehren und der höchsten militärischen Auszeichnung, die Polen zu bieten hat: dem Orden des weißen Adlers. "Es besteht kein Zweifel, dass Sie, Herr Präsident, Du, lieber Wolodymyr, ein absolut außergewöhnlicher Mensch bist", sagte er. "Du hast weder die Ukraine noch Deine Landsleute in der schwierigsten Situation verlassen, in die ihr in der Geschichte der Ukraine gekommen seid."
Selenskyj antwortete, wie so oft seit dem russischen Angriff, mit einer Dankesrede. Sie galt besonders der militärischen Hilfe, die Polen leistet. So hat die Regierung in Warschau inzwischen acht "MiG-29"-Kampfjets geschickt. Laut Duda werden überdies sechs weitere "MiG-29" für die Übergabe vorbereitet.
Die restlichen "MiG-29"-Jets blieben vorerst noch im Dienst der polnischen Streitkräfte, sagte Duda. Erst wenn sie sukzessive durch moderne Kampfflugzeuge ersetzt würden, die Polen bereits in Südkorea und den USA bestellt habe, könnten auch diese Maschinen der Ukraine überlassen werden.
Massaker an polnischer Bevölkerung
Selenskyj bedankte sich auch für die Aufnahme von gut 1,5 Millionen Geflüchteten. Und dann sagte der ukrainische Präsident einen für Polen sehr wichtigen Nebensatz: "Ich bin überzeugt, dass ist der Beginn einer Zeit, in der es zwischen Polen und der Ukraine keine Grenzen geben wird - keine politischen, keine ökonomischen und vor allem keine historischen."
Denn auch wenn der Krieg und die kompromisslose polnische Solidarität mit der Ukraine darüber hinwegtäuschen: Das Verhältnis beider Staaten ist belastet. Im Zweiten Weltkrieg hatten ukrainische Nationalisten Massaker verübt an der polnischen Zivilbevölkerung - ein politisch bisher kaum aufgearbeitetes Kapitel.
Polen will beim Wiederaufbau helfen
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz zeigte sich Duda zufrieden. "Es gibt also zwischen uns keine Tabuthemen. Heute haben wir auch die wichtigen historischen Fragen besprochen, die in vielen Familien häufig noch offene Wunden sind."
Nahtlos leitete er dann in die Zukunft über. Denn Duda will über die Ukraine nach dem Krieg sprechen, nach dem Sieg, wie er betonte. Das Land werde besser, schöner und moderner als vor dem Angriff sein und Polen soll seinen Anteil am Wiederaufbau haben: "Das ist für uns sehr wichtig."
Selenskyj bekundet Freundschaft
Polen sei heute der wichtigste wirtschaftliche Partner der Ukraine. "Wir hoffen, dass dies auch in der Zukunft so bleibt", sagte Duda. Er habe den Gästen gesagt, dass er daran glaube, dass sich die ukrainische Wirtschaft auch in Zukunft in Richtung Westen orientieren werde.
In Warschau ist durchaus registriert worden, dass Selenskyj eben erst Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte - in Begleitung einer deutschen Wirtschaftsdelegation. Aber Selenskyj beruhigte: Für die Ukraine sei Polen nicht nur ein Partner, sondern ein Freund, einer für Jahrhunderte.