Folgen der russischen Invasion Polen rüstet im Turbogang Armee auf
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Dringlichkeit eines der wichtigsten Projekte in Polen noch einmal erhöht: Die Armee soll aufgerüstet werden - mit mehr Rekruten und Soldaten.
Eine Gruppe Kadetten marschiert in Paradeformation über den Schulhof. Dazu wummert Lady Gaga aus den Boxen. Der Beat passt zum Exerziertempo. Dann dürfen die Besucher ran, zwar in Zivil, aber schon mit Waffe in der Hand.
Es ist ein Samstagnachmittag in Radom, gut 100 Kilometer südlich von Warschau. Die polnische Armee hat zu einer Militärmesse in der Schulaula geladen. Auf dem Pausenhof sind Schützenpanzer und Flugabwehrgeschütze aus polnischer Produktion aufgefahren.
"Russland ist eine Gefahr"
Mittendrin steht der 16 Jahre alte Konrad. "Irgendwo im Hinterkopf hat man ja immer den Gedanken, sich auch für die Verteidigung zu engagieren", sagt er. Das müsse man, wegen der Situation auf der Welt. "Russland ist eine Gefahr, und da sind Soldaten einfach notwendig, um das Land zu verteidigen."
Und Polens Armee sucht Nachwuchs. Das Land rüstet auf - auch mit neuen Rekruten. Seit 2015, seit die PiS-Partei regiert, hat sich die Anzahl der Soldaten um fast drei Viertel erhöht, auf jetzt 164.000. Mittelfristig sollen es 300.000 werden. Eine Wehrpflicht gibt es nicht, aber die Armee ist ein attraktiver Arbeitgeber, findet Oberstleutnant Damian Dudek auf der Militärmesse in Radom.
"Wir laden alle ein, die ihre Arbeit wechseln, eine Arbeit suchen oder ihre Zukunft mit dem Militär verbinden wollen." Jeder Interessierte könne hier vor Ort einen Antrag stellen, um in einer der Einheiten einen freiwilligen Grundwehrdienst zu leisten. "Ich verheimliche nicht, dass auch das Gehalt inzwischen sehr attraktiv ist. Zurzeit sind es 4960 Zloty brutto für den Anfang", sagt der Oberstleutnant.
"Wollen bedeutet können"
Umgerechnet sind das gut 1000 Euro Einstiegsgehalt, das sicher ist. Bei hohen Inflationsraten und einer absehbaren Wirtschaftskrise ist das nicht schlecht. Ohnehin stehen die Zeichen im polnischen Verteidigungsministerium nicht auf Sparen. Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen aktuell in die Verteidigung.
Absehbar sollen es fünf Prozent werden - Polen würde damit relativ zur eigenen Wirtschaftsleistung mehr investieren als jedes andere NATO-Land. Und Mariusz Blaszczak, der Verteidigungsminister, ist schon seit Monaten auf Einkaufstour, vor allem außerhalb Europas.
Anfang Dezember stand er im Hafen von Gdynia und nahm die erste Ladung "K2"-Kampfpanzer und "K9"-Haubitzen aus Südkorea entgegen - nur wenige Monate nach der Bestellung. "Wir wollen Frieden. Deswegen bereiten wir uns auf den Krieg vor", sagte er damals. "Wir beweisen, dass wir konsequent die polnische Armee entwickeln und verstärken. Und allen Zweiflern will ich sagen: Wollen bedeutet Können."
Lange Liste an Bestellungen
Auf der "Wollen"- Liste stehen außerdem "FA50"-Kampfflugzeuge und Raketenwerfer auch aus Südkorea, sowie "Abrams"-Kampfpanzer und "F-35"-Kampfjets aus den USA. Dazu kommen Waffensysteme aus eigener Produktion wie die Panzerhaubitze "Krab". Die Waffenlieferungen sind für Polen derart bedeutsam, dass selbst der Präsident zum Empfang in den Hafen gekommen war.
Andrzej Duda machte klar, dass es bei der Rüstung aus seiner Sicht nicht um wollen oder nicht-wollen geht. "Man muss niemandem erklären, wie wichtig dieser Prozess und dieses Liefertempo in der gegenwärtigen Situation sind - angesichts des Krieges in der Ukraine." Seit dem 24. Februar 2022 sei deutlich, dass nur "das Heldentum des Soldaten in wirksamer und moderner Ausrüstung imstande ist, die russischen imperialen Ambitionen, die russische Brutalität zu stoppen."
Opposition beklagt Intransparenz
Sollte die Ukraine den Krieg verlieren, wären Polen und das Baltikum die nächsten Ziele Moskaus - das ist inzwischen polnische Staatsräson. Deshalb unterstützt das Land die Ukraine fast ohne Vorbehalt: alte "T72"-Panzer, neue "Leopard"-Panzer, bald schon "MiG-29"-Kampfjets. Dass schon allein, um diese Lücken zu schließen, aufgerüstet werden muss, ist auch politisch unangefochten.
Kritik gibt es höchstens an den meist völlig intransparenten Einkaufsentscheidungen. Tomasz Siemoniak ist stellvertretender Vorsitzender der Oppositionspartei PO und war selbst bis 2015 Verteidigungsminister. "Die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss erfahren aus den Medien über "Abrams"- oder "K2"-Panzer", sagt er. Das sei undurchsichtig.
Man wisse nicht, was das kostet. Es sei schwer, überhaupt dazu Stellung zu nehmen. "Mit Sicherheit muss man die Lücken nach den Lieferungen an die Ukraine schließen. Aber ob so viel, für so viel Geld, das ist eine andere Frage." Im Herbst wird in Polen gewählt. Und wer auch immer gewinnen wird, weiß jetzt schon, dass die nächste Regierung die bald schlagkräftigste konventionelle Armee Europas erbt - und einen Haufen sehr teurer Rechnungen.